Leitsatz (amtlich)

1. Ein Rechtschutzbedürfnis für die Anfechtung von Beschlüssen in Mehrhausanlagen mit Untergemeinschaften besteht schon dann, wenn die theoretische Möglichkeit einer Inanspruchnahme aus § 10 Abs. 8 WEG für den Anfechtungskläger besteht.

2. Zu den Anforderungen an Alternativangeboten und deren Prüfung durch die Eigentümer bei größeren Sanierungsmaßnahmen.

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Urteil vom 12.02.2016; Aktenzeichen 92 C 5524/14 (78))

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 13.08.2015, Az. 92 C 5524/14 (78), insoweit abgeändert, als die Klage bezüglich des TOP 12 abgewiesen worden ist.

Der Beschluss zu TOP 12 aus der Eigentümerversammlung vom 18.11.2014 wird für ungültig erklärt.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 12.02.2016, Az. 92 C 5524/14 (78), wird zurückgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung des Schlussurteils des Amtsgerichts Wiesbaden vom 12.02.2016, Az. 92 C 5524/14 (78), wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 28% und die Beklagten 72% zu tragen.

4. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

5. Dieses und das angefochtene Urteil sind, soweit die Berufung zurückgewiesen wird, vorläufig vollstreckbar. Es bleibt dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner vorbehalten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

7. Der Streitwert wird für die erste Instanz auf 150.459,35 EUR und für die zweite Instanz auf 110.387,70 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft ….

In der Gemeinschaftsordnung wurden … Untergemeinschaften gebildet. … § 11 der Gemeinschaftsordnung regelt die getrennte Abrechnung in den einzelnen Untergemeinschaften. Es werden auch getrennte Instandhaltungsrücklagen gebildet. Die Untergemeinschaften sollen bzgl. der Kosten so behandelt werden, als seien sie eigenständige Gemeinschaften. Alle nicht einer Untergemeinschaft zuzuordnenden Kosten werden gemeinschaftlich getragen.

Die jeweiligen Untergemeinschaften halten eigene Versammlungen ab, § 12 Gemeinschaftsordnung. Sie sind zuständig für das betroffene Sondereigentum und das damit verbundene Gemeinschaftseigentum. Die Gesamteigentümergemeinschaft ist insbesondere zuständig für Angelegenheiten, die den Außenbereich betreffen.

Am 18.11.2014 fand eine Eigentümerversammlung statt …. In dieser Versammlung wurden u.a. Beschlüsse zu TOP 12 – Erneuerung der Dachabdeckung und Modernisierung des Aufzugs nebst Sonderumlage … gefasst. Vergleichsangebote wurden den Eigentümern nicht vorgelegt und auch nicht mit der Einladung zur Versammlung übersandt. Das betroffene Dach gehört zu dem Gebäude …a, die Sanierung des Aufzugs bezieht sich auf Gebäude …c.

Das Amtsgericht hat die Klage … durch Teilurteil … abgewiesen.

Die Klage sei – soweit sie auf die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 12 gerichtet ist – unzulässig. Dem Kläger fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Dies sei der Fall, da getrennte Verwaltung der Untergemeinschaften vereinbart wurde. Der Kläger sei diesbezüglich von der Mitverwaltung ausgeschlossen. Die beschlossenen Maßnahmen würden auch nicht gem. § 12 Gemeinschaftsordnung die gesamte Gemeinschaft betreffen, so dass sie in die Zuständigkeit der jeweiligen Untergemeinschaft fallen würden. Es handele sich unstreitig nicht um eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 WEG. Auch sei der Kläger nach den Beschlüssen nicht an den Kosten beteiligt.

Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung die Anfechtung, soweit der Beschluss zu TOP 12 betroffen ist, unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 13.08.2015, ist begründet.

Die Klage des Klägers ist in vollem Umfang zulässig. Insbesondere kann der Kläger – entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – ein Rechtschutzbedürfnis an der Beschlussanfechtung für sich beanspruchen. Der Kläger ist durch die angefochtene Beschlussfassung betroffen.

Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der vom Amtsgericht zitierten Rechtsprechung. So kann auf die zitierte Rechtsprechung Bezug genommen werden (BayObLG Beschl. v. 25.7.1984 – BReg 2 Z 57/84):

„Wird die Antragstellerin im Sinn der vorstehenden Ausführungen von den angefochtenen Eigentümerbeschlüssen nicht betroffen, so ist ihr Antrag nicht als sachlich unbegründet, sondern bereits als unzulässig abzuweisen. (…) Jedenfalls fehlt ihr für eine Anfechtung von Eigentümerbeschlüssen, die ihre Interessen als Miteigentümerin in keiner Weise berühren, das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist.”

Soweit es – wie hier – um die Anfechtung von Besch...

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