Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsausschluss gem. § 105 Abs. 1 SGB VII. Entfallen der Haftungsbeschränkung bei vorsätzlichem Handeln

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 105 Abs. 1 SGB VII sind Ansprüche eines Versicherten auf Ersatz des Personenschadens, der auch Schmerzensgeld umfasst, gegen eine andere im Betrieb tätige versicherte Person grundsätzlich ausgeschlossen, sofern ein von der Berufsgenossenschaft anerkannter Arbeitsunfall vorliegt.

2. Die Haftungsbeschränkung des im selben Betrieb Tätigen entfällt nur dann wegen Vorsatzes, wenn der Schädiger den Arbeitsunfall bewusst und gewollt herbeigeführt hat (dolus directus) oder wenn er ihn für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (dolus eventualis). Der Vorsatz des Schädigers muss dabei nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen, d.h. der Schädiger muss auch den Schadenseintritt gewollt oder zumindest gebilligt haben.

 

Normenkette

SGB VII § 105 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Entscheidung vom 02.11.2016; Aktenzeichen 3 Ca 812 d/16)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 02.11.2016 - 3 Ca 812 d/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Arbeitsunfall.

Der Kläger und der Beklagte arbeiteten bei der Fa. P. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Arbeitgeberin), der Kläger seit dem Jahr 2005 als Schlosser, der Beklagte seit dem Jahr 2008 als Lagerist. Der Kläger befindet sich mittlerweile im Ruhestand.

Am Vormittag des 22.10.2013 kam der Kläger im Betrieb der Arbeitgeberin bei einem Unfall zu Schaden. Der Beklagte fuhr mit dem Gabelstapler aus dem Materiallager für Maschinen durch eine Verbindungstür in die Maschinenhalle. Hinter der Durchfahrt befindet sich im vorderen Bereich der Maschinenhalle an der Decke ein Spiegel in Form einer Halbkugel, der allen Personen eine Rundumsicht ermöglichen soll (vgl. Bl. 30 und 32 d. A.). Der Beklagte konnte auf seinem Weg wegen der geringen Höhe der Durchfahrt in die Maschinenhalle (vgl. Bl. 31 d. A.) und wegen des Vorbaus des Gabelstaplers erst sehr spät mithilfe des Spiegels einen vollständigen Rundumblick über den Türbereich der Maschinenhalle erlangen. Als der Beklagte die Tür durchfuhr, näherte sich aus der Fahrtrichtung von links der Kläger. Der Beklagte fuhr mit dem linken Vorderrad des Gabelstaplers über den rechten Fuß des Klägers, wodurch dieser, obwohl er Sicherheitsschuhe trug, einen dreifachen Bruch des rechten Mittelfußes erlitt. Der Kläger wurde am 08.11.2013 operiert. Die Knochen des Mittelfußes wurden gerichtet und drei Platten mit je sechs Schrauben in den Fuß eingebracht. Die Berufsgenossenschaft hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte schulde ihm Schadensersatz und Schmerzensgeld. Denn er habe den Unfall mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt und könne sich daher nicht auf den Haftungsausschluss nach den §§ 104 ff. SGB VII berufen. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe es offenbar unterlassen, sich mittels des Deckenspiegels einen Überblick zu verschaffen, ob Fußgänger gefährdet werden könnten, sobald er die Tür durchfahre. Hätte der Beklagte das getan, hätte er den Kläger wahrgenommen und rechtzeitig angehalten. Im Übrigen hätte der Beklagte im Kreuzungsbereich anhalten müssen, weil Fußgänger Vorrang hätten. Die streitgegenständliche Kreuzung sei ein im Betrieb bekannter Gefahrenpunkt. Deshalb sei es unerlässlich, dort mit Schrittgeschwindigkeit zu fahren, um sich dann in aller Ruhe im Spiegel zu vergewissern, ob die Kreuzung frei sei. Der Beklagte sei im Betrieb für seine "sportliche Fahrweise" bekannt und am Unfalltag mit einer Geschwindigkeit von ca. 18 km/h ungebremst in den Kreuzungsbereich eingefahren. Die Gabelstapler seien nicht bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h abgeriegelt. Da aber der Beklagte mit viel zu hoher Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren sei, obwohl er um die Gefahr gewusst habe, habe er zumindest den bedingten Vorsatz gehabt, Fußgänger zu verletzen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Zustellung der Klage zu zahlen,
  2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aufgrund des Schadensereignisses vom 22.10.2013 zu ersetzen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, den Unfall und die Verletzung des Klägers nicht vorsätzlich verursacht zu haben. Ihm könne wegen des Unfalls allenfalls Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Seiner Haftung stehe der Haftungsausschluss des § 105 SGB VII für Personenschäden bei Arbeitsunfällen entgegen. Er fahre seit vielen Jahren Gabelstapler und sei keineswegs ein ...

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