Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Mehrurlaub für ältere Beschäftigte. Benachteiligungsfreie Gewährung von zwei weiteren Urlaubstage zum Schutz älterer Beschäftigter

 

Leitsatz (amtlich)

Gewährt ein Haustarifvertrag einer Klinik Arbeitnehmern ab Vollendung des 50. Lebensjahres zwei Tage Mehrurlaub, kann dies nach § 10 AGG zulässig sein.

 

Normenkette

AGG § 10 S. 3 Nr. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1, § 7 Abs. 1-2, § 10 Sätze 1-2; MTV § 22 Ziff. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Entscheidung vom 20.03.2014; Aktenzeichen 2 Ca 2288 e/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.11.2016; Aktenzeichen 9 AZR 534/15)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 20.03.2015 - 2 Ca 2288 e/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs der Klägerin.

Die am ... 1983 geborene Klägerin trat am 01. August 2005 als Gesundheits- und Krankenpflegerin in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein. Die Beklagte, die eine Klinik betreibt, ist Teil des H...Konzerns und war früher dem D... Konzern zugehörig.

Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag D... vom 02. März 2010 Anwendung. Dieser regelt zum Erholungsurlaub - soweit hier entscheidungserheblich - in § 22 Folgendes:

"§ 22 Erholungsurlaub

1. Der Arbeitnehmer erhält in jedem Urlaubsjahr Erholungsurlaub nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

2. Die Dauer des Erholungsurlaubs beträgt 28 Arbeitstage, nach Vollendung des 50. Lebensjahres 30 Arbeitstage. Die Lage des Urlaubs wird individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen der Urlaubsplanung vereinbart.

Protokollnotiz zu § 22 Ziffer 2:

Arbeitnehmern die vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages einen höheren Urlaubsanspruch haben, bleibt dieser als Besitzstand gewahrt. Maßgeblich ist der Urlaubsanspruch am 31. Dezember 2006.

...

8. Für geleistete Nachtarbeit erhalten Arbeitnehmer, die in einem Kalenderjahr die folgenden Nachtarbeitsstunden geleistet haben, einen Zusatzurlaub:

ab 50 Nachtarbeitsstunden 1 Arbeitstag,

ab 75 Nachtarbeitsstunden 2 Arbeitstage,

ab 175 Nachtarbeitsstunden 3 Arbeitstage,

ab 225 Nachtarbeitsstunden 4 Arbeitstage.

Arbeitnehmer, die ständig Schichtarbeit leisten, erhalten einen Zusatzurlaub von einem Arbeitstag unabhängig davon, ob 50 Nachtarbeitsstunden erreicht werden. Schichtarbeit leisten diejenigen Arbeitnehmer, die eine Zulage nach § 15 Ziffer 14 erhalten. Die Schichtarbeit ist ständig, wenn im Kalenderjahr mindestens zehnmal diese Zulage gezahlt wurde.

Der Zusatzurlaub bemisst sich nach der im vorangegangenen Kalenderjahr erbrachten Arbeitsleistung. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht mit Beginn des auf die Arbeitsleistung folgenden Urlaubsjahres."

Nach Übernahme der Beklagten durch den H... Konzern fanden Tarifverhandlungen statt zur Einbindung der ehemaligen D...-Gesellschaften und auch der Beklagten in das H...-Tarifgefüge. Die Tarifverhandlungen blieben bislang ohne Erfolg. Die Beklagte gewährte ihren Mitarbeitern in den Jahren 2012 und 2013 jeweils 30 Urlaubstage, wobei sie mit Schreiben vom 29. Juli 2013 für das Jahr 2013 erklärte, dass die Gewährung des Erholungsurlaubs in diesem Umfang für das Jahr 2013 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolge und sich daraus für die künftigen Jahre keinerlei Rechte ergäben.

Im Jahre 2014 gewährte die Beklagte der Klägerin 28 Urlaubstage.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die tarifliche Regelung sei unwirksam, da sie eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters darstelle. Sie hat bestritten, dass die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrages das höhere Erholungsbedürfnis älterer Mitarbeiter berücksichtigen wollten. Die seitens der Beklagten vorgelegten Statistiken seien nicht Grundlage für die Entscheidung der Tarifvertragsparteien gewesen und im Übrigen von ihr - Klägerin - nicht nachprüfbar. Es fehle an einer entsprechenden Protokollnotiz im Manteltarifvertrag. Unter Berücksichtigung von technischen Hilfsmitteln heutigen Standards sei die Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin keine derart anstrengende und ermüdende Tätigkeit, die eine Ungleichbehandlung ab dem 50. Lebensjahr rechtfertige.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, dass sie einen jährlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 30 Tagen hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die tarifliche Regelung sei erfolgt, da ältere Beschäftigte schutzbedürftiger seien als jüngere. Dies ergebe sich zwar nicht aus dem Wortlaut der tariflichen Regelung. Ältere Beschäftigte seien aber laut Statistik in allen Abteilungen ihres Betriebes häufiger arbeitsunfähig erkrankt als jüngere Beschäftigte. Die Tarifvertragsparteien hätten durch ihre Regelung diesem Umstand Rechnung getragen. 50-jährige Mitarbeiter seien ältere Beschäftigte im Sinne des AGG.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ...

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