Entscheidungsstichwort (Thema)

Elektronische Übermittlung von Dokumenten gem. § 46g Satz 1 ArbGG. Justizgewährungsanspruch und elektronischer Rechtsverkehr

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie einzureichende Anträge und Erklärungen müssen von den Rechtsanwälten in Schleswig-Holstein seit dem 1. Januar 2020 als elektronische Dokumente an die Arbeitsgerichtsbarkeit übermittelt werden. Entsprechen diese Dokumente nicht den zwingenden Formvorschriften der elektronischen Übermittlung gem. § 46g Satz 1 ArbGG, gelten sie nicht als dem Gericht zugegangen und können demnach auch keine Fristen wahren.

2. Das Recht auf Zugang zu den Gerichten darf nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden. Verfahrensrechtliche Vorschriften dürfen den Anspruch auf die gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts nicht unzumutbar verkürzen. Die Verpflichtung der Rechtsanwälte, die Dokumente in bestimmten Dateiformaten und Schriftarten einzureichen, erschwert den Zugang zu den Gerichten nicht unverhältnismäßig.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; KSchG § 4 S. 1, § 7 S. 1; ArbGG § 46c Abs. 2, § 46g; FördElRV Art. 24 Abs. 2, Art. 26 Abs. 7; ERVB 2019 Nr. 1; ERVB 2019 § 5 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 17.11.2020; Aktenzeichen 4 Ca 465 c/20)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 17.11.2020, Az. 4 Ca 465 c/20, abgeändert und die Klage abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Klägerin.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung und Weiterbeschäftigung.

Die heute 50-jährige Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 06.01.1993 als gewerbliche Arbeitnehmerin in der Verpackung zuletzt zu einer Monatsvergütung von 3.640,00 € brutto beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten werden Backwaren für den Verkauf im Einzelhandel produziert.

Am 07.04.2020 war die Klägerin in der Frühschicht eingesetzt. Gegen 8: 50 Uhr beobachtete ein Kollege der Klägerin sie dabei, wie sie eine Flasche Handdesinfektionsmittel vom Wagen der Reinigungsfirma nahm und diese in ihr privates Wertfach legte. Der Kollege informierte daraufhin die Geschäftsleitung von dem Vorfall. Gegen 9: 00 Uhr forderte der Werksleiter, Herr S., die Klägerin in Beisein des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden, Herrn H., dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Verpackung, Herrn V. sowie dem Leiter Hygiene und Reinigung, Herrn F. auf, ihr privates Wertfach zu öffnen. Die Klägerin kam dieser Bitte nach. In ihrem Fach befanden sich zwei Flaschen mit Handdesinfektionsmittel, wobei mindestens eine Flasche angebrochen war. Hierauf angesprochen gab die Klägerin an, das Desinfektionsmittel für die Arbeit zu benötigen. Aufgrund der Einführung der Schichtarbeit sei insbesondere am Samstag nicht immer gewährleistet, dass die Flaschen mit Handdesinfektion stets aufgefüllt seien.

Mit Schreiben vom 07.04.2020 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung der Klägerin an. Am 09.04.2020 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung.

Mit Schreiben vom 09.04.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2020. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin am 09.04.2020 ausgehändigt.

Hiergegen erhob die anwaltlich vertretene Klägerin mit Schriftsatz vom 14.04.2020 vor dem Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage. Der Prozessbevollmächtigte reichte die Klagschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) beim Arbeitsgericht ein. Die Schriftart "Helvetica" war in der als PDF-Dokument übermittelten Klagschrift nicht eingebettet. Mit Verfügung vom 20.04.2020 wies das Arbeitsgericht darauf hin, dass der elektronisch eingegangene Antrag/Klage unzulässig sein dürfte, da die Datei Schriftarten enthalte, die nicht eingebettet seien. Das Arbeitsgericht wies auf die Heilungsmöglichkeit des § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG hin. Daraufhin reichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Klagschrift vom 14.04.2020 nochmal am 29.04.2020 auf dem Postweg ein. Mit Verfügung vom 30.04.2020 wies das Arbeitsgericht die Klägerin darauf hin, dass die von ihrem Prozessbevollmächtigten per Post eingereichte Klage unzulässig sein dürfte. Seit dem 01.01.2020 könnten u.a. Rechtsanwälte vor den Schleswig- Holsteinischen Arbeitsgerichten Schriftsätze nur noch elektronisch einreichen. Am 05.05.2020 reichte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Klagschrift vom 14.04.2020 erneut über beA beim Arbeitsgericht ein. Die Schriftarten des elektronischen Dokuments waren wiederum nicht eingebettet, worauf der Vorsitzende Richter den Klägervertreter telefonisch hinwies. Sodann reichte der Klägervertreter auf diesem Wege erneut die Klage ein, deren Inhalt aber nunmehr nicht texterkannt, also nicht durchsuchbar war. Auf noc...

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