Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhepause. Dauer. Bereitschaftsdienst. Pausenregelung. Bemessung der Mindestgesamtdauer der Ruhepausen bei Bereitschaftsdienst

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes gehört auch der Bereitschaftsdienst. Zeiten des Bereitschaftsdienstes sind deshalb bei der Bemessung der Mindestgesamtdauer aller Ruhepausen pro Arbeitstag zu berücksichtigen.

2. Ruhepausen können nicht nur durch Unterbrechung der Vollarbeit gewährt werden, sondern dürfen auch in den Bereitschaftsdienst gelegt werden.

 

Normenkette

ArbZG § 4 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Urteil vom 30.07.2008; Aktenzeichen 4 Ca 693c/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.12.2009; Aktenzeichen 5 AZR 157/09)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 30.07.2008 – 4 Ca 693c/08 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine Arbeitszeitgutschrift von 8,75 Stunden wegen unberechtigten Pausenabzugs im Zeitraum 01.09.2006 bis 12.01.2008 zu erteilen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 310,97 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.03.2008 als Vergütung für Bereitschaftsdienste im Zeitraum 01.09.2006 bis 20.01.2008 zu zahlen.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge) trägt der Kläger 93 % und die Beklagte 7 %.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob sich die Leistung von Bereitschaftsdienst auf die Mindestdauer der Ruhepausen gemäß § 4 ArbZG auswirkt.

Der am … 1949 geborene Kläger ist seit dem 01.02.1985 bei dem S. K. beschäftigt. Er arbeitet als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Darüber hinaus leistet der Kläger Bereitschaftsdienst. Der Kläger ist Mitglied des Marburger Bundes. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (TVÄrzte/VKA) vom 17.08.2006 Anwendung.

In der Zeit vom 01.09.2006 bis zum 30.04.2007 richtete sich die Lage der Arbeitszeit des Klägers nach dem mit dem Betriebsrat vereinbarten „Arbeitszeitmodell Anästhesie und operative Intensivmedizin” (K 3 = Bl. 20 d. A.). Seit dem 01.05.2007 gilt ein geringfügig geändertes Arbeitszeitmodell (K 4 = Bl. 21 d. A.). Beide Arbeitszeitmodelle sehen vor, dass Bereitschaftsdienste im Anschluss an den jeweiligen Tagdienst an Wochenenden bzw. an den jeweiligen Nachtdienst geleistet werden. An den Bereitschaftsdienst schließt sich jeweils eine als Vollarbeit bewertete Übergabe im Umfang von 1 bis 2 Arbeitsstunden an.

Die Beklagte erfasst Arbeitszeit und Pausen mit einem Programm, das von der Arbeitszeit und dem Bereitschaftsdienst automatisch Pausen abzieht. Im Nachtdienst unter der Woche und im Tagdienst am Wochenende werden 45 Minuten von der Arbeitszeit abgezogen, obwohl die Arbeitszeit ohne den Bereitschaftsdienst 9 Stunden nicht übersteigt. Bei Bereitschaftsdiensten am Wochenende, die im Anschluss an Vollarbeit geleistet werden, kürzt die Beklagte automatisch die geleisteten Bereitschaftsdienstzeiten um 45 Minuten und vergütet sie nicht. Den Bereitschaftsdienst versieht der Kläger regelmäßig allein.

Der Kläger hat gemeint, die Beklagte berücksichtige über die tatsächlich gewährten Pausen hinaus fiktive Pausenzeiten zu seinen Lasten. Er hat behauptet, er habe nie länger als 30 Minuten Pause gehabt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, § 4 ArbZG beziehe sich nur auf die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne von § 3 ArbZG. Diese müsse durch Ruhepausen unterbrochen werden. Für Zeiten des Bereitschaftsdienstes gelte das nicht. Bereitschaftsdienst sei gerade dadurch geprägt, dass aktive Arbeitsphasen von Zeiten der Bereitschaft abgelöst würden. Diese Ausgestaltung der speziellen Arbeitszeitform Bereitschaftsdienst verletze die Vorgaben des Artikels 4 der Richtlinie 2003/288/EG nicht. Die Richtlinie verlange insbesondere keine Auslegung des Arbeitszeitgesetzes dahingehend, dass auch die Bereitschaftsdienstzeit durch im Voraus feststehende Ruhepausen zu unterbrechen sei. § 4 ArbZG verlange lediglich, dass die Arbeit durch eine Pause zu unterbrechen ist, wenn sie mehr als 6 Stunden in Anspruch nehme. Dies sei bei einem Bereitschaftsdienst nicht der Fall. Dieser sei gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 TV-Ärzte/VKA dadurch geprägt, dass erfahrungsgemäß die Zeit ohne Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes überwiege. Der Zweck der Ruhepause sei es, den Arbeitnehmer vor Übermüdung und damit einhergehenden Gesundheits- und Unfallrisiken zu schützen. Dies geschehe während der Vollarbeit durch die Vorschrift des § 4 ArbZG. Der Zweck des Gesundheitsschutzes bei Bereitschaftsdienst werde dadurch gewährleistet, dass in den Bereitschaftsdienstzeite...

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