Entscheidungsstichwort (Thema)

Restitutionsklage. Verdachtskündigung. Nachträglich errichtete Urkunden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil, durch das eine Kündigungsschutzklage nach den Grundsätzen der sog. Verdachtskündigung abgewiesen worden ist, kann nicht darauf gestützt werden, daß nach Schluß der Tatsacheninstanz der dringende Tatverdacht entfallen ist.

2. Das richterliche Vernehmungsprotokoll über die Aussage von Zeugen, auf deren frühere Aussage das Urteil gestützt ist, und der Beschluß des Strafgerichts über die Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung können nicht als Urkunden im Sinne von § 580 Nr. 7 b ZPO berücksichtigt werden, wenn diese Urkunden nach Schluß der Tatsacheninstanz errichtet worden sind.

3. Dem Arbeitnehmer bleibt in diesem Fall nur die Klage auf Beschäftigung bzw. Wiedereinstellung, wenn sich seine Unschuld nach Schluß der Tatsacheninstanz erweist.

 

Normenkette

ZPO § 580 Nr. 7b

 

Verfahrensgang

ArbG Kiel (Urteil vom 23.10.1995; Aktenzeichen 2a Ca 1947/95)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 22.01.1998; Aktenzeichen 2 AZR 455/97)

 

Tenor

Die Restitutionsklage des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15.08.1996 – 4 Sa 720/95 – wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger betreibt eine Restitutionsklage gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 15. August 1996, Az.: 4 Sa 720/95.

Der am 19. Januar 1958 geborene Kläger betreute als Erzieher mit einer Halbtagsstelle seit dem 1. August 1994 bei dem beklagten Verein zusammen mit seiner in Vollzeit als Sozialpädagogin angestellten Ehefrau Kinder in familienanaloger Form. Bei dieser Art. der Betreuung leben das Ehepaar und die ihm anvertrauten Kinder wie eine Familie Tag und Nacht zusammen.

Gegenstand des vorangegangenen Verfahrens war eine von dem Beklagten am 10. August 1995 gegenüber dem Kläger ausgesprochene fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung, in der es u. a. heißt (Bl. 5/5 R d.A.):

Sehr geehrter Herr M.,

wie Ihnen bereits am 08.08.95 mündlich mitgeteilt, müssen wir das bestehende Arbeitsverhältnis zwischen uns aufkündigen. Insofern kündigen wir hiermit fristlos zum 15.08.95, hilfsweise fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt, den 15.09.95.

Unsere Entscheidung begründen wir wie folgt:

  1. Durch das laufende Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen sexuellen Mißbrauchs an Kindern und Ihre damit verbundene Inhaftierung konnte ihre Frau die familienanaloge Betreuungsform zwangsläufig nicht mehr fortführen, so daß wir gezwungen waren, die von Ihnen betreuten Kinder kurzfristig anderweitig unterzubringen und damit die Gruppe zu schließen.

    In dieser Entscheidung wurden wir auch nachdrücklich vom Landesjugendamt Kiel und den zuständigen Jugendämtern der Kinder bestätigt.

  2. Ihre einwöchige Inhaftierung vom 24.07.–02.08.95 wurde uns durch Sie erst nach Entlassung aus der Haft und durch Ihre Frau erst am 02.08.95 mitgeteilt, so daß dadurch die für unsere Arbeit notwendige vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und der zuständigen Aufsichtsbehörde erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde

    Im übrigen sind Sie dadurch Ihrer Informationsverpflichtung gegenüber dem Verein als Arbeitgeber nicht nachgekommen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß wir von dem Vorfall zunächst nicht durch Sie, sondern durch Dritte (Kripo Neustadt und Landesjugendamt Kiel) informiert worden sind.

Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 22. August 1995 Klage erhoben.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat durch Urteil vom 15. August 1996 das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 23. Oktober 1995 – 2a Ca 1947/95 – geändert und die Klage abgewiesen. Es hat dies u. a. wie folgt begründet:

Das Arbeitsverhältnis sei aufgrund der begründeten außerordentlichen Kündigung des Beklagten beendet worden. Die Verdachtskündigung des Beklagten habe das Arbeitsverhältnis aufgelöst; u. a. führt das Landesarbeitsgericht in diesem Urteil hierzu aus:

Es besteht der schwerwiegende Verdacht, daß der Kläger Kinder des Ehepaares O., nämlich Angelina und Philipp, sexuell mißbraucht hat. Wegen dieses Verdachts darf und kann der Beklagte den Kläger nicht weiterbeschäftigen…

Der Beklagte hat den Verdacht auf zutreffende Tatsachen gegründet, denn die Anordnung der Untersuchungshaft wegen des Verdachts des sexuellen Mißbrauchs von Kindern stellt sich als ausreichender Sachverhalt dar. Das beruht zum einen darauf, daß die Straftat, deren der Kläger verdächtigt ist, den Einbruch in einen rechtlich geschützten Bereich darstellt, der den Beklagten existentiell trifft, nämlich der Schutz von Kindern vor Gewalt, insbesondere vor sexuellem Mißbrauch. Die Anordnung von Untersuchungshaft bereits setzt voraus, daß der Beschuldigte der Tat dringend verdächtigt ist und ein Haftgrund besteht und sie andererseits zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregelung der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht (§ 112 Ab...

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