Entscheidungsstichwort (Thema)

Blankettverweisung, Verbandsaustritt, Beendigung der Tarifbindung Stufentarifverträge

 

Leitsatz (amtlich)

1. Verweist ein Tarifvertrag auf einen anderen Tarifvertrag „in seiner jeweiligen Fassung” (sog. Blankettverweisung) und wird der in Bezug genommene Tarifvertrag nachfolgend inhaltlich geändert oder gekündigt, so bewirkt diese Änderung oder Kündigung des Bezugstarifvertrages grundsätzlich keine Beendigung des Verweisungstarifvertrages i.S.v. § 3 Abs. 3 TVG. Ein Verbandsaustritt vor der Änderung oder Kündigung des Bezugstarifvertrages befreit den Arbeitgeber demzufolge nicht von der Tarifbindung an den Verweisungstarifvertrag. Diese bleibt vielmehr bis zur Beendigung des Verweisungstarifvertrages bestehen.

2. Die in der stufenweisen Lohnanpassung des § 4 des Lohntarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt vom 05.03.1991 in der Fassung von 17.05.1993 enthaltene Bezugnahme auf den „jeweils geltenden tariflichen Monatslohn in der niedersächsischen Metallindustrie” war – auch in Ansehung der langen Kündigungsfristen – wirksam. Das Gleiche gilt für die in § 19 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt vom 06.03.1991 bestimmte Bezugnahme auf den Prozentsatz der in der niedersächsischen Metallindustrie ab den 01.01.1995 geltenden Urlaubsvergütung.

3. Arbeitgeber, die nach Abschluss der vorgenannten Tarifverträge aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind, blieben gemäß § 3 Abs. 3 TVG bis zum Ablauf des verweisenden Tarifvertrages an den jeweiligen, Inhalt des in Bezug genommenen Tarifvertrages gebunden.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; TVG, Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt § 3 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Halberstadt (Urteil vom 23.06.1998; Aktenzeichen 6 Ca 461/98)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.05.2000; Aktenzeichen 4 AZR 363/99)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des ArbG Halberstadt vom 23.06.1998 – 6 Ca 461/98 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.956,30 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 30.03.1998 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Klägers sowie die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/5 und die Beklagte zu 4/5.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Gründe

Der Kläger begehrt von der Beklagten, die in Sachsen-Anhalt ein Unternehmen der Metallindustrie betreibt, nach deren Verbandsaustritt tarifgerechte Zahlung von Lohn und zusätzlicher Urlaubsvergütung gemäß den Tarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt.

Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und langjährig bei der Beklagten als Schleifer beschäftigt. Die Beklagte war bis zum 31.12.1993 Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt e.V. Mit Formularänderungsvertrag vom 01.08.1991 zum Arbeitsvertrag (Bl. 31 – 32 d.A.) vereinbarten die Parteien u.a.:

„Der Bruttolohn beträgt DM … (freigelassen).

Er setzt sich zusammen aus

  1. Tariflohn derzeit gemäß Tariflohngruppe V/Tätigkeitsjahr 1991 (Stichtag) DM 7,57.
  2. Leistungszulage entsprechend der tariflichen Regelung.
  3. …”

Gemäß § 4 des Lohntarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt vom 06.03.1991 in der Fassung vom 17.05.1993 (im folgenden: LTV) erhöhten sich die Monatslöhne der gewerblichen Arbeitnehmer der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt von 1993 bis zum 01.07.1996 stufenweise von 71 % auf 100 % des „jeweils geltenden tariflichen Monatslohnes… in der niedersächsischen Metallindustrie”. § 6 LTV beinhaltet eine Härtefallregelung, wonach die Tarifvertragsparteien und im Falle ihrer Nichteinigung eine mit einem unabhängigen Vorsitzenden besetzte Schiedsstelle auf Antrag von Arbeitgeber oder Betriebsrat in besonderen Härtefällen abweichende Regelungen treffen können. §§ 4 und 6 LTV waren gemäß § 7 Ziffer 4 i.V.m. § 4 Ziffer 2 LTV erstmals zum 31.12.1998 kündbar.

In § 19 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie Sachsen-Anhalt vom 06.03.1991 (im folgenden: MTV) hatten die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass sich ab dem 01.01.1995 die Urlaubsvergütung um den Prozentsatz erhöhen sollte, der ab diesem Zeitpunkt in der niedersächsischen Metallindustrie galt. Auch der MTV war erstmals kündbar zum 31.12.1998.

Die Beklagte trat zum 31.12.1993 aus dem Arbeitgeberverband aus. Der Tariflohn in Sachsen-Anhalt war zu diesem Zeitpunkt gemäß § 4 LTV auf 80 % des Niedersächsischen angestiegen. Zum 01.04.1994 vereinbarten in Niedersachsen die dortigen Tarifvertragsparteien der Metallindustrie eine weitere Lohnerhöhung. Die Beklagte machte nach ihrem Austritt mit Zustimmung des bei ihr bestehenden Betriebsrats weder die niedersächsischen Lohnerhöhungen noch die weitere stufenweise Lohnanpassung gemäß § 4 LTV mit. Auch die zusätzliche Urlaubsvergütung gemäß § 19 MTV,...

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