Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonderkündigungsschutz bei Kenntniserlangung von der Schwangerschaft durch Dritte

 

Leitsatz (amtlich)

Der Sonderkündigungsschutz gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber über die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin durch eine weitere Arbeitnehmerin - auch wenn dieser keine personalrechtlichen Befugnisse ggü. der schwangeren Arbeitnehmerin zustehen - unmittelbar nach Zugang der Kündigung informiert wird.

 

Normenkette

MuSchG § 9 Abs. 1 S. 1; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Stendal (Entscheidung vom 18.10.2013; Aktenzeichen 1 Ca 1553/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 18.10.2013 - 1 Ca 1553/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die (vorzeitige) Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses.

Die Klägerin war seit 15.05.2012 bei der Beklagten, die ein Pflegeheim in M betreibt, als Hauswirtschaftskraft/Köchin beschäftigt. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmten sich nach dem Arbeitsvertrag vom 15.05.2012 (Bl. 11 - 17 d.A.), der eine befristete Beschäftigung der Klägerin für den Zeitraum vom 15.05.2012 bis 14.05.2013 vorsah.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 14.11.2012 (Bl. 21 d.A.), der Klägerin am selben Tage zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgemäß zum 29.11.2012.

Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin - wie zwischen den Parteien nach Vorlage des Mutterpasses in Kopie (Bl. 42 d.A.) unstreitig geworden ist - schwanger.

Die Klägerin hatte hierüber die leitende Pflegekraft, Frau L im Zusammenhang mit Gewährung von Urlaub während der Weihnachtstage am 13.11.2012 informiert. Eine Information des Geschäftsführers der Komplementär GmbH der Beklagten (im Folgenden Geschäftsführer) über die bestehende Schwangerschaft erfolgte seitens der Klägerin jedoch nicht.

Nach der Stellenbeschreibung (Bl. 54 - 60 d.A.) ist die leitende Pflegekraft Frau L personalverantwortlich für den Pflegebereich, nicht jedoch für den Bereich Hauswirtschaft. Der Geschäftsführer selbst hat sich nicht täglich in der Einrichtung in M aufgehalten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Kündigung komme wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG keine Rechtswirksamkeit zu.

Der Geschäftsführer sei - so hat die Klägerin behauptet - durch Frau L über das Bestehen der Schwangerschaft vor Ausspruch der Kündigung informiert worden. Im Übrigen sei auch eine Information der Frau L ausreichend gewesen, da diese bei Abwesenheit des Geschäftsführers faktisch die Arbeitgeberfunktion auch gegenüber der Klägerin ausgeübt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die Kündigung vom 14.11.2012 zum 29.11.2012 beendet wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der streitgegenständlichen Kündigung komme Rechtswirksamkeit zu. Der Klägerin stehe kein Sonderkündigungsschutz nach § 9 MuSchG zu, weil sie ihre Schwangerschaft nicht gegenüber der Beklagten mitgeteilt habe. Eine beiläufige Information der Frau L sei hierzu nicht ausreichend gewesen, weil dieser keine Arbeitgeberbefugnisse gegenüber der Klägerin zugestanden haben.

Das Arbeitsgericht hat über die Behauptung der Klägerin, Frau L habe den Geschäftsführer über das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Klägerin informiert, Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau L als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 18.10.2013 (Bl. 88 - 91 d.A.) verwiesen.

Im Anschluss daran hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom selben Tage festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kündigung komme wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 MuSchG keine Rechtswirksamkeit zu. Die Voraussetzungen dieser Norm seien gegeben. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kammer davon überzeugt, dass der Geschäftsführer jedenfalls kurz nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung durch Frau L über das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Klägerin informiert worden sei. Mithin könne im Ergebnis dahinstehen, ob Frau L selbst zur Entgegennahme derartiger Informationen befugt war. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 101 - 110 d.A. verwiesen.

Gegen dieses, ihr am 12.11.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.12.2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.02.2014 am 11.02.2014 begründet.

Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt sie ihren Klagabweisungsantrag weiter. Sie vertritt die Rechtsauffassung, auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussage der Frau L seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht gegeben. Die Weitergabe der Information betreffend die Schwangerschaft der Klägeri...

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