Entscheidungsstichwort (Thema)

Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag der Arbeitgeberin in der Berufungsinstanz. Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung wegen ehrverletzender und beleidigender Äußerungen gegenüber Vorgesetzte und gegenüber der Arbeitgeberin bei Abmahnung mit unbestimmter Aufforderung zur Distanzierung und Entschuldigung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Aufforderung des Arbeitgebers, einen aktiven Beitrag zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis zu leisten, muss für den Arbeitnehmer inhaltlich erkennen lassen, welche konkreten Maßnahmen von ihm gefordert werden, um eine angedachte Kündigung zu vermeiden.

Bei weiteren Belastungen des Arbeitsverhältnisses nach Kündigungsausspruch kann der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag auch dann noch in der Berufungsinstanz stellen, wenn er hiervon im erstinstanzlichen Verfahren abgesehen hat.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 9-10, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 9 Abs. 1 Sätze 2-3; BGB § 314 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 06.11.2013; Aktenzeichen 2 Ca 5556/13)

 

Nachgehend

LAG Nürnberg (Urteil vom 08.03.2022; Aktenzeichen 7 Sa 176/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 06.11.2013, Az.: 2 Ca 5556/13, teilweise abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen, soweit die Klägerin die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses begehrt.

II. Auf Antrag der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2009 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von EUR 37.600,-- (in Worten: Euro siebenunddreißigtausendsechshundert) brutto aufgelöst.

III. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

IV. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

V. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

VI. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Arbeitgeberkündigung vom 24.04.2009 zum 30.06.2009, die tatsächliche Weiterbeschäftigung der Klägerin, die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und im Berufungsverfahren zusätzlich über die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2009.

Die am 16.01.1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten ab dem 20.09.2001 auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.09.2001 (Kopie Bl. 242, 243 d.A.) als kaufmännische Angestellte im Einkauf beschäftigt und bezog zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von EUR 4.620,39 (vgl. Abrechnung für 06/2009, Kopie Bl. 1177 d.A.).

Die Klägerin fühlt sich über mehrere Jahre hinweg aufgrund ihres Geschlechts und ihrer afghanischen Herkunft durch Vorgesetzte diskriminiert, worauf ein umfangreicher E-Mail-Verkehr beruht.

Mit E-Mail vom 21.09.2008 (Kopie Bl. 61-64 d.A.) wandte sich die Klägerin persönlich an den damaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. P.... Sie schilderte ihm ihr persönliches Profil, insbesondere das Vorhandensein von drei unterhaltspflichtigen und davon zwei studierenden Kindern, und ihre berufliche Situation. Diesbezüglich behauptete sie, schon seit einigen Jahren gegen ihre Person geführten "Guerilla-Aktionen" von Vorgesetzten ausgesetzt zu sein, eine "himmelschreiende Ausländer- und Frauenfeindlichkeit" vorgefunden zu haben und sich wegen der Brisanz des Falles deshalb direkt an den Vorstandsvorsitzenden zu wenden, weil sie es als unfair erachte, wenn er erst aus der amerikanischen Presse informiert werden würde. Sie kündigte an, sich zu Loyalität und Geheimhaltung gegenüber der Beklagten nur solange verpflichtet zu fühlen, als diese ihre Schutzpflicht gegenüber der Klägerin wahrnehme.

Mit E-Mail vom 05.02.2009 (Kopie Bl. 59, 60 d.A.) wandte sich die Klägerin erneut an den damaligen Vorstandsvorsitzenden und schilderte ihm, dass sie weiterhin unter Männerherrschaft, Männerwirtschaft und Männersolidarität zu leiden habe. Sie brachte ihre Erwartung zum Ausdruck, "dass man sich als erstes von einem Frauen- und Ausländerhasser trennt und nicht vom Opfer verlange, weiterhin mit seinem Täter zusammenarbeiten zu müssen". In dieser E-Mail wird unter anderem ausgeführt:

"Bei dieser Gelegenheit muss ich leider feststellen, dass Sie als CEO von S... noch einsamer sind als ich es bin. Ich darf Ihnen hiermit schriftlich bestätigen, dass kein Jude in diesem Land jemals solche seelischen Qualen erleiden musste, wie ich; und das ist mein Erleben und Empfinden und kein Gesetz der Welt kann mir verbieten, darüber zu berichten. In keinem Land der Welt, in keinem Unternehmen der Welt habe ich so viele Intrigen erlebt, sei es mit Personal, sei es mit Lieferanten. Das ganze hält die Erinnerung wach an meinen Lieblingsfilm: Der Pate. Alles in allem: Was mir bis heute geboten wird - das kann ich doch nicht annehmen: Es beleidigt meine Intelligenz".

Die Klägerin wandte sich mit E-Mail vom 30.03.2009 (Kopie Bl. 27, 28 d.A.) an ihren unmittelbaren Vorgesetzten H... unter dem Betreff: "Lebenswerk der unfähigen Führungskräfte". In dieser E-Mail wird dem Vorgesetzten Mobbing, Bossing, unberechtigte Kritik und unsachliche und leere...

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