Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrentenanpassung. Verschmelzung. Sanierung. Ermittlung des Anpassungsbedarf

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Frage, ob die verlangte Anpassung einer Betriebsrente nach § 16 BetrAVG das Unternehmen übermäßig belastet, ist auch nach einer Verschmelzung allein auf die Ertragskraft des neu entstandenen Unternehmens abzustellen.

2. Wird durch die Verschmelzung ein bisher notleidendes Unternehmen saniert, so ist bei der Prüfung der Ertragksraft des neu entstandenen, nunmehr wirtschaftlich gesunden Unternehmens zu berücksichtigen, dass die Eigner des kapitalgewährenden Unternehmens erwarten dürfen, dass der von ihnen finanzierte Kapitalzufluss nicht sogleich wenigstens teilweise zur Finanzierung des aufgelaufenen Anpassungsbedarfs der Betriebsrentner, sondern zur Steigerung der Ertragkraft des neu entstandenen Unternehmens verwendet wird, damit sich das von ihnen eingesetzte Kapital angemessen verzinst.

3. Für die Zeit vor der Sanierung ist den Betriebsrentnern deshalb keine Anpassung zu gewähren. Der Anpassungsbedarf wird erst ab dem Zeitpunkt der Sanierung ermittelt. Die Sanierung ist erfolgt, wenn das neue Unternehmen nach den Maßstäben der Rechtsprechung (vgl. dazu BAG, 18.02.2003, 3 AZR 172/02, AP Nr. 53 zu § 16 BetrAVG) ohne Beeinträchtigung seiner Wettbewerbsfähigkeit die Betriebsrenten anpassen kann. Die erste Anpassung erfolgt drei Jahre nach der erfolgreichen Sanierung. Im Ergebnis wird so der Rentenbeginn fiktiv auf den Zeitpunkt der Sanierung festgelegt.

 

Normenkette

Betr AVG § 16

 

Verfahrensgang

ArbG Lingen (Urteil vom 10.03.2005; Aktenzeichen 3 Ca 422/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 10.03.2005 – 3 Ca 422/04 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.06.2005 eine monatliche Betriebsrente von 430,29 EUR brutto zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens werden zu 61 % dem Kläger, zu 39 % der Beklagten auferlegt.

4. Der Wert wird auf 17.892,00 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Anpassung seiner Betriebsrente. Die Parteien streiten dabei ausschließlich darum, ob dafür die wirtschaftliche Lage der Beklagten selbst oder die ihrer nur noch kalkulatorisch existierenden Rechtsvorgängerin zugrunde zu legen ist und ob letzterenfalls deren Ertragskraft durch die begehrte Rentenanpassung übermäßig belastet wird.

Der Kläger war von 1953 bis 1976 bei der W. AG beschäftigt. Er hat Anspruch auf Gewährung einer Betriebsrente nach Maßgabe der Pensionszusagen vom 28.02.1957 und 12.09.1968, auf die Bezug genommen wird (Bl. 8 – 10 und Bl. 4 – 7 d.A.). Seit Januar 1984 erhält er die ihm zugesagte Betriebsrente, die zunächst 697,– DM brutto betrug und zum 01.01.1988 und 01.01.1991 auf zuletzt 759,– DM (388,07 EUR) monatlich angehoben wurde. Weitere Rentenpassungen erfolgten wegen der wirtschaftlichen Situation der W. AG berechtigterweise nicht. Ausweislich des testierten Jahresabschlusses für das Jahr 2000, auf den Bezug genommen wird (Bl. 68 d.A.), betrug das Eigenkapital der W. AG bei einem gezeichneten Kapital von rund 60 Millionen DM und einem Bilanzverlust von rund 54 Millionen DM noch rund 6,7 Millionen DM. Für den Konzern war ein Kapital von 71,21 Millionen DM gezeichnet.

Aufgrund des Verschmelzungsvertrages vom 03.07.2001, auf dessen Präambel verwiesen wird (Bl. 87 d.A.), wurde die wirtschaftlich gesunde S. GmbH auf die W. AG, die im Zuge der Verschmelzung zur Beklagten umfirmierte, verschmolzen. Die Verschmelzung wurde mit Eintrag in das Handelsregister am 15.05.2002 wirksam. Ziel der Fusion war unter anderem die Sanierung der W. AG. Die Bilanzen der Beklagten, auf die Bezug genommen wird (Bl. 19-23 und Bl. 24-26 d.A.), weisen bei einem gezeichneten Kapital von rund 48,3 Millionen EUR für das Jahr 2002 einen Jahresüberschuss von 31,9 Millionen EUR, für das Jahr 2003 einen Jahresüberschuss von 4,7 Millionen EUR sowie einen Gewinnvortrag von rund 23,4 Millionen EUR aus. Im Anhang zu den Jahresabschlüssen wurde der Aufwand der Beklagten, die gemäß dem im Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 11.11.2205 überreichten Fax vom 10.11.2005 1.714 Mitarbeiter beschäftigt und 770 Betriebsrentner versorgt, für die Altersversorgung mit 108.000,– EUR für 2002 beziehungsweise mit 566.000,– EUR für 2003 angegeben.

Der Kläger bat mit Schreiben vom 10.01.2003 um Anpassung und Nachberechnung seiner Betriebsrente zum 01.01.2003. Dies lehnte die Beklagte nach mehreren Erinnerungen mit Schreiben vom 09.01.2004 ab. Der Kläger widersprach der Ablehnung mit Schreiben vom 16.01.2004. Mit seiner am 26.08.2004 erhobenen Klage begehrt er die angemessene Erhöhung seiner Betriebsrente ab dem 01.01.2004. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Abzustellen sei auf das weiterhin der W. AG kalkulatorisch zuzuordnende Eigenkapital und deren Gewinne und Verluste, weil andernfalls der...

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