Entscheidungsstichwort (Thema)

betriebsbedingte Kündigung durch Insolvenzverwalter wegen Betriebsstillegung. falsche Prognose. Wiedereinstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei einem im Insolvenzverfahren vollzogenen Betriebsübergang kann ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegen den Betriebserwerber bestehen, wenn sich die Prognose des kündigenden Insolvenzverwalters, bei Ablauf der Kündigungsfrist könne er den Arbeitnehmer wegen der beabsichtigten Betriebsstilllegung nicht mehr weiterbeschäftigen, noch während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch erweist (teilweise Abweichung vom BAG, Urt. V. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, BAGE 90,260).

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Urteil vom 04.09.2003; Aktenzeichen 4 Ca 310/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.10.2004; Aktenzeichen 8 AZR 199/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 04.09.2003 – 4 Ca 310/02 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages mit der Firma G… GmbH in Insolvenz als Mitarbeiter in der Qualitätssicherung zu einem monatlichen Bruttogehalt von 3.288,00 EUR anzunehmen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Wiedereinstellung in Anspruch.

Der 1945 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger trat am 21.03.1973 als technischer Angestellter in die Dienste der Firma S… GmbH, die ihn zuletzt in dem Bereich Qualitätssicherung einsetzte.

Im Herbst 2001 benannte sich die Firma S… GmbH in Firma G… GmbH um.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 15.11.2001 wurde die Beklagte gegründet. Alleingesellschafterin war die G… GmbH.

Mit Beschluss vom 15.01.2002 wurde über das Vermögen der G… GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter bestimmte das Insolvenzgericht den bereits seit Anfang Dezember 2001 eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalter M….

Der Insolvenzverwalter kündigte allen Arbeitnehmern der G… GmbH zum 30.04.2002, so auch dem Kläger mit Kündigungsschreiben vom 28.01.2002. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage zum Aktenzeichen 4 Ca 176/02 vor dem Arbeitsgericht Hannover. Gegen das klagabweisende Urteil legte der Kläger Berufung ein, die beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen unter dem Aktenzeichen 6 Sa 684/03 geführt wurde.

Die Beklagte führt in denselben Räumlichkeiten mit denselben Betriebsmitteln ab 01.05.2002 die von der G… GmbH ausgeführten Arbeiten weiter. Sie stellt flexible Rohrelemente aus Stahlblechen und so genannte Kompensatoren her. Bei letzterem handelt es sich um Verbindungsstücke für Rohrverbindungen, die großen Wärmeschwankungen unterliegen. Die Beklagte ist auf diese Produktion spezialisiert. Die Produkte werden für Rohr- und Überlandleitungen in der Größe von fingerdick bis 3 m Durchmesser benötigt. Die Beklagte beschäftigte – zunächst befristet für 3 Monate – 84 der ca. 140 vormals bei der G… GmbH beschäftigten Arbeitnehmer weiter, nicht jedoch den Kläger.

Mit der am 21.05.2002 bei dem Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass er sich mit der Beklagten in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen seines Arbeitsvertrages bei der G… GmbH in Insolvenz befindet. Hilfsweise hat er die Beklagte auf Wiedereinstellung in Anspruch genommen. Die Klageschrift ist der Beklagten am 28.05.2002 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 27.06.2002 (Bl. 20 bis 21 d. A.) teilte der Insolvenzverwalter der G… GmbH dem Kläger u. a. Folgendes mit:

Sehr geehrter Herr W…,

namens des Insolvenzverwalters, des beratenden Betriebswirts M…, geschäftsansässig:…, handelnd in seiner Eigenschaft über das Vermögen der G…GmbH in …, habe ich Ihnen folgendes mitzuteilen:

Der Betrieb der Schuldnerin G…GmbH in … ist mit Wirkung zum 01.05.2002 auf die S… GmbH übergegangen.

Über das Vermögen der G… GmbH ist bekanntlich unter dem 15.01.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Die S… GmbH, Gesellschafter die Schuldnerin G… GmbH i. I., führt den Betrieb zunächst für die Dauer von drei Monaten weiter.

84 Mitarbeiter der G… GmbH arbeiten augenblicklich im Betrieb der S… GmbH weiter. Die Weiterarbeit erfolgt aufgrund eines von den Mitarbeitern abgeschlossenen befristeten Drei-Monats-Vertrages, beginnend mit dem 01.05.2002.

Zwischen dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der G… GmbH, Herrn M…, und dem Betriebsrat der G… GmbH ist ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen worden.

Die S… GmbH kann nicht mehr als 84 Mitarbeiter beschäftigen. Die übrigen Mitarbeiter können deshalb nicht übernommen werden.

Sie können einem eventuellen Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen ...

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