Entscheidungsstichwort (Thema)

Gratifikation. Bindungswirkung. Tarifvertrag. Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 1 Abs. 1 Nr. 3 des gekündigten „Tarifvertrages über eine Zuwendung für Angestellte” im öffentlichen Dienst bestimmt u. a., dass „der Angestellte in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung erhält, wenn er” nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet.

2. Es kann dahinstehen, ob die vorerwähnte tarifliche Formulierung mit dem Bundesarbeitsgericht gem. § 188 Abs. 1 BGB dahingehend auszulegen ist, dass es bei einer entsprechenden Kündigung zu diesem Zeitpunkt „mit Ablauf des 31. März” oder mit dem Arbeitsgericht gem. § 188 Abs. 2, 1. Alt. BGB erst mit dem Ablauf des letzten Tages der Kündigungsfrist um 24.00 Uhr endet und der Kläger folglich nicht noch am 31. März 2005 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, sondern erst am 1. April 2005.

Unbeschadet der Problematik der sog. logischen Sekunde zwischen dem 31. März und dem 1. April 2005 muss sich die Auslegung eines Tarifvertrages, der im normativen Bereich wie ein Gesetz auszulegen ist, nach dem Zweck der entsprechenden Norm richten. Zur Überzeugung der Berufungskammer liegt dieser Zweck darin, dass damit erreicht werden soll, dass ein Arbeitnehmer noch eine bestimmte Zeit im Arbeitsverhältnis mit seinem Arbeitgeber stehen soll, hier nämlich bis 31. März des Folgejahres (in diesem Fall 2005). Dies ist hier der Fall. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat genau bis 31. März 2005 bestanden und damit ist der Zweck der gewährten Zuwendung insoweit erreicht. In seinen Entscheidungen vom 9. Juni 1993 (10 AZR 529/92 – AP Nr. 150 zu § 611 BGB Gratifikation) und 21. Mai 2003 (1 AZR 390/02 – AP Nr. 250 zu § 611 BGB Gratifikation) ist auch das Bundesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, ein Arbeitgeber könne sein Arbeitsverhältnis gratifikations- bzw. zuwendungsunschädlich ordentlich zum 31. März des Folgejahres kündigen.

 

Normenkette

BGB §§ 188, 611

 

Verfahrensgang

ArbG München (Urteil vom 18.07.2005; Aktenzeichen 22 Ca 5615/05)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.04.2007; Aktenzeichen 10 AZR 634/06)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen dasEndurteil desArbeitsgerichts München vom18. Juli 2005 – Gz.: 22 Ca 5615/05 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom Beklagten sein restliches Gehalt für März 2005, das dieser ihm mit der Begründung vorenthält, er sei zur Rückzahlung einer ihm gewährten Weihnachtszuwendung verpflichtet.

Der Beklagte ist ein an das Besserstellungsverbot des BAT gebundener Zuwendungsempfänger der Bundesrepublik Deutschland und der Länder.

Der Kläger war seit dem Jahr 2001, zuletzt auf Grund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26. Februar 2004 als „Mitarbeiter im Wissenschaftlichen Dienst” gegen ein monatliches Gehalt in Höhe von EUR 3.427,60 brutto beschäftigt. Dessen § 2 lautet wie folgt:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für die Angestellten des D. (MTV Ang-D.) vom 06.05.1980 in Verbindung mit dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.02.1961 (Teil Bund) und den diese ergänzenden oder ändernden Tarifverträge, der SR 2y BAT, Nr. 1 Buchstabe – sowie den jeweils anzuwendenden Betriebsvereinbarungen, Ordnungen und Richtlinien des D. Die gekündigten Tarifverträge über eine Zuwendung … finden keine Anwendung.” (kursive Hervorhebung durch das Gericht)

Der vorerwähnte „Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte” vom 12. Oktober 1973, zuletzt geändert durch den Tarifvertrag vom 31. Januar 2003 (künftig: Zuwendungs-TV), ist zum 30. Juni 2003 gekündigt worden. Er regelt in seinem § 1 Abs. 1 Nr. 3, dass „der Angestellte in jedem Kalenderjahr eine Zuwendung erhält, wenn er … nicht in der Zeit bis einschließlich 31. März des folgenden Kalenderjahres aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch ausscheidet”. (kursive Hervorhebung durch das Gericht)

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2004 hatte der Beklagte u. a. auch den Kläger darüber informiert, dass er, der Beklagte, zwar „aufgefordert” gewesen sei, mit ihm, dem Kläger, „arbeitsvertraglich zu vereinbaren, dass die gekündigten Tarifverträge über die Gewährung einer Zuwendung (Weihnachtsgeld) keine Anwendung finden”, ihm jedoch nun mitteilen könne, „dass sich das Bundesministerium des Inneren (BMI) mit Schreiben vom 04.10.2004 damit einverstanden erklärt hat, in diesem Jahr auch an diese Mitarbeiter(innen) eine Zuwendung zu zahlen. Die Zuwendung wird im November gezahlt und beträgt 60 %. Die Regelungen der gekündigten Zuwendungstarifverträge zur Gewährung einer Teilzuwendung u. ä. finden entsprechend Anwendung. Einzelheiten entnehmen Sie bitte dem im Intranet veröffentlichten Schreiben des BMI. Hierbei handelt es sich um eine außertarifliche Maßnahme, die keinerlei Anspruch für die Folgejahre begründet …”

Im November 2004 hat der Kläger eine Weihnachtszuwendung in Höhe von EUR 2.056...

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