Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerkschaftsbegriff. Betriebsversammlung. Teilnahmerecht. Koalitionsbegriff. Arbeitnehmervereinigung

 

Leitsatz (amtlich)

Wahrnehmung von Rechtspositionen – hier: Zutrittsrecht zu Betriebsversammlungen nach § 46 BetrVG – die nach dem Betriebsverfassungsgesetz Gewerkschaften eingeräumt sind, durch eine Arbeitnehmervereinigung mit dem Status einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG, ohne dass diese – derzeit – für sich den Status einer Gewerkschaft im Sinne der Rechsprechung des BAG in Anspruch nimmt.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 46

 

Verfahrensgang

ArbG München (Beschluss vom 11.08.2004; Aktenzeichen 7 BV 364/03)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 19.09.2006; Aktenzeichen 1 ABR 53/05)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen denBeschluss des Arbeitsgerichts München vom11.08.2004 – 7 BV 364/03 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird für den Beteiligten zu 1) zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Verband als Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG ein Zutrittsrecht zum Betrieb der Beteiligten zu 3. hat, um an Betriebsversammlungen gem. § 46 BetrVG teilzunehmen.

Der antragstellende V. (im folgenden V.) möchte an Betriebsversammlungen bei v. (Beteiligter zu 3. – im folgenden v.) teilnehmen. Insoweit begehrt er ein Zutrittsrecht, das er auf seinen Status als Arbeitnehmervereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG und auf eine Entscheidung des BAG vom 17.02.1998 (1 AZR 364/97 – Bl. 9/22 d.A.) stützt. Der Betriebsrat (Beteiligten zu 2.) und v. verweigern ihm die Teilnahme und ein Zutrittsrecht.

„Zahlreiche Beschäftigte” von v. sollen nach einer eidesstattlichen Versicherung des Vorsitzenden des V. W. vom 25. Februar 2005 (Bl. 166/167 d.A.) bei v. beschäftigt sein, was von v. und dem Betriebsrat bestritten wird.

Der V. ist der Ansicht, ihm stehe ein Teilnahmerecht an Betriebsversammlungen gem. § 46 BetrVG zu. Der Betriebsrat und v. seien daher verpflichtet, ihm den Zutritt zu gewähren. Dafür sei nicht erforderlich, dass er die Voraussetzungen, die das Bundesarbeitsgericht für den Gewerkschaftsbegriff festgelegt habe, erfülle, insbesondere dass er tariffähig sei. Für das Betriebsverfassungsgesetz sei von einem anderen Gewerkschaftsbegriff auszugehen. Auf die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung im Rahmen der Betriebsverfassung komme es nicht an, weil dort nicht Tarifverträge ausgehandelt würden. Insbesondere gehe es bei Betriebsversammlungen lediglich um den Austausch von Auffassungen und das Werben von Mitgliedern, so dass für die Wahrnehmung dieses Rechts der Status als Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG ausreiche. Die Definition des Gewerkschaftsbegriffs durch das BAG auch für das Betriebsverfassungsgesetz verletze das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und verstoße gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Gemäß EG-Richtlinie (Rili 94/45 EG des Rates vom 30.09.94 Nr. L 254/64) werde eine ausgewogene Vertretung der verschiedenen Arbeitnehmer-Kategorien in den Arbeitnehmervertretungen gefordert. Tariffähigkeit werde insoweit nicht vorausgesetzt. Dazu werde durch die Anforderungen des BAG zur Tariffähigkeit die Freizügigkeit von Arbeitnehmern anderer EG-Staaten eingeschränkt, weil diese in der Ausübung ihrer Mitgliedschaftsrechte in den Heimatgewerkschaften gehindert, zum Eintritt in eine inländische Gewerkschaft gezwungen und ausländische EG-Gewerkschaften in der Wahrnehmung ihrer Koalitionsfreiheit behindert würden. Dadurch werde auch die Freizügigkeit gemäß Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 beeinträchtigt. Der Gewerkschaftsbegriff sei daher unter Beachtung dieser Vorgaben zumindest für das Betriebsverfassungsgesetz anders zu definieren.

Der Betriebsrat vertritt demgegenüber die Auffassung, dass das Teilnahmerecht nach § 46 BetrVG nur einer Gewerkschaft im Sinne des vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelten Gewerkschaftsbegriffs zukomme. Es bestehe keine Veranlassung, diesen Gewerkschaftsbegriff entsprechend der jeweiligen Rechtsmaterie und insbesondere für das Betriebsverfassungsgesetz anders zu definieren. Das gebiete auch das Europarecht nicht. Weder werde durch die vom V. zitierten Bestimmungen bei Anwendung des – einheitlichen – Gewerkschaftsbegriffs des BAG in eine ausgewogene Arbeitnehmervertretung nach verschiedenen Kategorien eingegriffen noch würden Arbeitnehmer bei Mitgliedschaft in einer ausländischen EG-Gewerkschaft diskriminiert oder diese an ihrer Koalitionsbetätigung gehindert.

V. hat sich zum Antrag des V. nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten der Ausführungen der Beteiligten wird auf deren schriftsätzliche Ausführungen in der ersten Instanz Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 11. August 2004, der dem V. am 14. Oktober 2004 zugestellt worden ist, den Antrag zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat verneint, dass dem V., der die Voraussetzungen des Gewerkschaftsbegriffs nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht erfülle, als Koalition im Sinne d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge