Entscheidungsstichwort (Thema)

Unkündbarkeit. außerordentliche betriebsbedingte Kündigung. Konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht. tariflicher Verschaffungsanspruch im Konzern. Wahlschuld. Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung kommt immer dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber z.B. wegen des tariflichen Ausschlusses einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit ansonsten gezwungen wäre, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis über einen langen Zeitraum hinweg allein durch Gehaltszahlungen aufrecht zu erhalten.

2. Die gesetzlich geltende unternehmensbezogene Weiterbeschäftigungsverpflichtung auf freien Arbeitsplätzen kann durch einen Tarifvertrag auf den gesamten Konzern ausgedehnt werden.

3. Eine solche tariflich vorgeschriebene konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht kann durch weitere Tarifregelungen unterstützt werden, die einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Verschaffung eines freien Arbeitsplatzes enthalten. § 6 Abs. 5 des Abkommens zum Schutz der Mitarbeiter im DLH – Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen enthält einen derartigen Verschaffungsanspruch. Er ist als Wahlschuld ausgestaltet und richtet sich gegen das Arbeitgeberunternehmen, das dem Arbeitnehmer andere angemessene Aufgaben in einem konzernangehörigen Unternehmen verschaffen muss.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1; Tarifvertrag Schutzabkommen Lufthansa §§ 6, 10a

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 07.07.2004; Aktenzeichen 7 Ca 14003/03)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.05.2007; Aktenzeichen 2 AZR 626/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07.07.2004 – 7 Ca 14003/03 – teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) durch die schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten zu 1) vom 17.11.2003 nicht mit Wirkung zum 30.06.2004 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, dem Kläger mit Wirkung zum 01.06.2005 einen angemessenen Arbeitsvertrag bei einem konzernangehörigen Unternehmen im Geltungsbereich des Abkommens zum Schutz der Mitarbeiter im D – Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen (Tarifvertrag Schutzabkommen) zu verschaffen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger und die Beklagte zu 1) jeweils zur Hälfte.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung sowie über die Verpflichtung der Beklagten zur Verschaffung bzw. zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit dem Kläger.

Der im Jahr 1951 geborene, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 01.07.1977 bei der Beklagten zu 1) bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er war dort zunächst als Sachbearbeiter und zuletzt als Key-Account-Manager mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 4.382,32 EUR tätig. Der Kläger ist Mitglied des bei der Beklagten zu 1) bestehenden Betriebsrats.

Bei sämtlichen Beklagten finden konzernweit geltende kollektivrechtliche Regelungen des D-Konzerns Anwendung. Hierzu gehören u. a. der Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal (MTV), das Abkommen zum Schutz der Mitarbeiter im D-Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen (Tarifvertrag Schutzabkommen – TVS) vom 01.10.1995 sowie die Konzernbetriebsvereinbarung Interessenausgleich/ Sozialplan für das Bodenpersonal vom 20.11.1992 in der Fassung der Verlängerungsregelung vom 26.07.2000. Darüber hinaus vereinbarte die Beklagte zu 1) mit dem Betriebsrat vor dem Hintergrund des TVS am 23.09.2003 einen Teilinteressenausgleich mit dem Ziel, den betroffenen Mitarbeitern eine Beschäftigungsmöglichkeit innerhalb des Konzerns zu erhalten, sowie am 10.10.2003 einen betriebsbezogenen Interessenausgleich und Sozialplan. Zum 31.10.2003 legte die Beklagte zu 1) ihren Betrieb endgültig still und kündigte sämtliche 81 Arbeitsverhältnisse.

Wegen dieser Betriebsstilllegung kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 17.11.2003 außerordentlich zum 30.06.2004. Zuvor hatte sie den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 10.11.2003 gem. § 102 BetrVG zur beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört. Der Betriebsrat hatte der Kündigung widersprochen.

Mit der am 08.12.2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten zu 1) am 12.12.2003 zugestellten Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die Wirksamkeit der Kündigung vom 17.11.2003 gewandt. Mit Schriftsatz vom 27.04.2004 hat der Kläger sodann die Klage gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) erweitert und neben seinem ursprünglichen Feststellungsantrag die Verschaffung eines neuen Arbeitsvertrages zu den bisher geltenden Arbeitsbedingungen begehrt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte zu 1) sei ihren rechtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht na...

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