Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltanspruch einer Psychotherapeutin in Ausbildung (PiA) für ihre Tätigkeit im praktischen Jahr in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage, ob die Psychotherapeutin in Ausbildung (PiA) für ihre praktische Tätigkeit von mindestens 1200 Stunden an einer psychiatrischen klinischen Einrichtung nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 PsychTh-APrV (sog. Klinikjahr) ein Entgelt beanspruchen kann, ist weder in der Ausbildungsverordnung PsychTh-APrV noch in dem zugrunde liegenden PsychThG noch in anderen Gesetzen geregelt.

2. Im zu entscheidenden Fall hat sich die zwischen den Parteien getroffene Abrede über ein unentgeltliches Tätigwerden der Klägerin als sittenwidrig und rechtsunwirksam erwiesen (§ 138 BGB), weil die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erheblichem Umfang eigenständige und für das beklagte Klinikum wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbracht hat, für die das Klinikum ansonsten bezahlte Arbeitskraft eines Psychotherapeuten oder Psychologen hätte einsetzen müssen.

3. Rechtsfolge ist, dass das beklagte Klinikum gemäß § 612 BGB die eingeklagten 12 x 1.000,00 € als übliche Vergütung schuldet.

 

Normenkette

BGB §§ 138, 612; PsychTh-APrV § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 29.09.2011; Aktenzeichen 4 Ca 784/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 10.02.2015; Aktenzeichen 9 AZR 289/13)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 29.09.2011 - 4 Ca 784/11 - wird auf die Berufung der Klägerin abgeändert.

Das beklagte Klinikum wird verurteilt, an die Klägerin 12.000,-- Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 10.05.2011 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Klinikum.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten, ob die Klägerin Entgelt beanspruchen kann für Tätigkeiten, die sie als Psychotherapeutin in der Ausbildung im praktischen Jahr in der Klinik und Poliklinik des beklagten Universitätsklinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie verrichtet hat (PiA = Psychotherapautin in Ausbildung / im Sprachgebrauch der Parteien auch "PiP" = Psychotherapeutin im Pratikum).

Die Klägerin ist 1981 geboren. Sie hat ein Studium der Pädagogik als Diplompädagogin abgeschlossen. Sie setzt ihre Ausbildung mit einer Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin fort. Diese Weiterbildung ist geregelt in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten, welche das Bundesministerium für Gesundheit am 18.12.1998 auf der Grundlage von § 8 des Psychotherapeutengesetzes vom 16.06.1998 erlassen und ausgefertigt hat (PsychTh-APrV BGBl. I 1998, 3749 / PsychThG BGBl. I 1998, 1311 / beide zuletzt geändert 06.12.2011 BGBl. I 2011, 2515). Mit Schreiben vom 27.11.2008 bewarb sich die Klägerin bei dem beklagten Klinikum um einen Platz für das Klinikjahr begleitend zu einer Ausbildung in B1 S1. Ansprechpartnerin war die Zeugin Dr. A1-H2. Frau Dr. A1-H2 ist Leiterin der Tagesklinik und als Oberärztin bei dem beklagten Klinikum für die Auswahl und Betreuung aller Psychotherapeuten im Praktikum verantwortlich. Die Bewerbung bezieht sich auf eine praktische Tätigkeit von mindestens 1.200 Stunden an einer psychiatrischen klinischen Einrichtung, wie sie in § 2 Abs. 2 Nr. 1 PsychTh-APrV vorgesehen ist. Die Bewerbung war erfolgreich. Nach einem Vorstellungsgespräch bei der Zeugin Dr. A1-H2 am 22.12.2008 vereinbarten die Parteien eine entsprechende Tätigkeit für die Dauer vom 01.02.2009 bis zum 31.01.2010. Eine schriftliche Vereinbarung existiert nicht. Im Verlauf des Rechtsstreits ist unstreitig geworden, dass die Parteien übereinstimmend davon ausgingen, dass das praktische Jahr ohne Vergütung absolviert werde. Im Schreiben des beklagten Klinikums an die Klägerin vom 30.12.2008 heißt es, die Klägerin könne unter Voraussetzung ihrer gesundheitlichen Eignung vom 15.01.2009 bis zum 15.01.2010 ein unentgeltliches Praktikum ableisten (Bl. 385 GA). Ebenfalls ist unstreitig geworden, dass die Klägerin nicht als Studentin eingeschrieben war. Begleitend begann die Klägerin ab dem 01.01.1999 die Ausbildung mit dem Schwerpunkt Verhaltenstherapie am Lehrinstitut in B1 S1.

Bei dem beklagten Klinikum existieren zwei Leitfäden "Fit für den Start - Ein Leitfaden für Psychotherapeuten im Praktischen Jahr (PiP) der Stationen 1, 2, und 3" und

"Fit für den Start - Ein Leitfaden für PIA's (Psychotherapeuten in der Ausbildung) der Familientagesklinik". Wegen des Inhalts der Leitfäden wird auf die eingereichten Kopien verwiesen (Bl. 91 - 95 GA, Bl. 96 - 101 GA). Im Leitfaden "Fit für den Start - Ein Leitfaden für Psychotherapeuten im Praktischen Jahr (PiP) der Stationen 1, 2, und 3" heißt es auszugsweise zum "Selbstverständnis" und zu den "Aufgaben der PiPler" wie folgt (Bl. 91, 92 GA):

Zum Selbstverständnis

- Jeder PiPler ist einem anleitenden Therapeuten zugeordnet, der ihn einarbeitet und Ansprec...

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