Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Firmenfortführung. Umgehung. Eigenkündigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Umgehung des § 613a BGB liegt nicht vor, wenn die Arbeitnehmer der Betriebsveräußerin zum Ausspruch von Kündigungen veranlasst werden, ohne dass die Betriebserwerberin konkrete Zusagen hinsichtlich der weiteren Beschäftigung einzelner Arbeitnehmer gemacht hat. Dies gilt auch dann, wenn die Betriebserwerberin zwei Drittel der Belegschaft kurze Zeit nach dem Ausspruch der Eigenkündigungen einstellt.

 

Normenkette

BGB § 613a; HGB § 25

 

Verfahrensgang

ArbG Herford (Urteil vom 30.10.2009; Aktenzeichen 1 Ca 1355/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.09.2012; Aktenzeichen 8 AZR 826/11)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 30.10.2009 (1 Ca 1355/09) abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltansprüche aus übergegangenem Recht und über den Zeitpunkt eines Betriebsübergangs.

Im Jahr 1976 wurde die U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH gegründet. Das Unternehmen war mit der Herstellung und dem Vertrieb von Draht- und Metallwaren befasst. Die Firma wurde später geändert in U2 Metallbau GmbH. Über das Vermögen dieser Gesellschaft wurde im September 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die klagende Bundesagentur zahlte an 29 Arbeitnehmer dieser Gesellschaft Insolvenzgeld und macht die insoweit übergegangenen Entgeltansprüche gegen die Beklagte geltend; die Klägerin beruft sich auf einen Betriebsübergang und eine Firmenübernahme.

Bis März 2007 waren Gesellschafter der U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH Frau H1 W1, Herr P1 W1 sowie Herr H2 V1; Geschäftsführer der Gesellschaft waren die Herren P1 W1 und H2 V1. Die Gesellschaft war Mieterin eines Grundstücks in B1. Vermieter und Eigentümer des Grundstücks waren die Gesellschafter. Mit Kaufvertrag vom 28.12.2006 veräußerte die U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH ihr bewegliches Sachanlagevermögen zusammen mit den immateriellen Vermögensgegenständen an die Grundstücksgemeinschaft bestehend aus den Gesellschaftern und mietete diese Gegenstände ab Januar 2007 an.

Durch notarielle Gesellschaftsverträge vom 26.01.2007 gründeten die Gesellschafter der U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH die U3 Immobilien GmbH & Co. KG und die Beklagte. Als Notar war der Prozessbevollmächtigte der Beklagten tätig. Geschäftsführer der Beklagten sind Herr P1 W1 und Herr H2 V1.

Ende Januar 2007 brachten die Gesellschafter das Betriebsgrundstück in B1 in die U3 Immobilien GmbH & Co. KG ein. Der Mietvertrag, der zwischen der U3 Immobilien GmbH & Co. KG und der U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH abgeschlossen wurde, ist im Laufe des Jahres 2007 mit der Beklagten fortgesetzt worden.

Durch notarielle Verträge vom 15.03.2007 übertrugen die Gesellschafter der U1 + V1 Metallbaugesellschaft mbH die von ihnen gehaltenen Geschäftsanteile an die C1-T1 C2 GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer Herrn S2 S3. Als Notar war wiederum der Prozessbevollmächtigte der Beklagten tätig. Die Herren V1 und W1 wurden als Geschäftsführer abberufen; zum alleinigen neuen Geschäftsführer wurde Herr S3 bestellt. Im Zuge der Übertragung der Geschäftsanteile wurde die Firma der Gesellschaft geändert in U2 Metallbau GmbH.

Unter dem 19.03.2007 schloss die U2 Metallbau GmbH einen Alleinvertriebs- und Kooperationsvertrag mit der Beklagten (Ablichtung Blatt 246 ff. der Akten). In diesem Vertrag war unter anderem geregelt, dass die U2 Metallbau GmbH den Vertrieb von ihr hergestellter oder vertriebener Vertragsprodukte für Gesamteuropa an die Beklagte überträgt und sich verpflichtet, in das Vertragsgebiet keine direkte Lieferungen an Abnehmer und Kunden vorzunehmen.

Ab März 2007 zahlte die U2 Metallbau GmbH keine Löhne und Gehälter an ihre Arbeitnehmer mehr. Der Geschäftsführer stellte am 29.05.2007 den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 30.05.2007 wurden vorläufige Sicherungsmaßnahmen angeordnet.

Am 31.05.2007 fand eine Versammlung der Arbeitnehmer statt, die bei der U2 Metallbau GmbH beschäftigt waren. An dieser Versammlung nahm auch der Prozessbevollmächtigte der Beklagten als damaliger Rechtsberater der U2 Metallbau GmbH teil. Der Geschäftsführer, Herr S3, und der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erläuterten die arbeits- und insolvenzrechtliche Situation. Im Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 31.05.2007 (Ablichtung Blatt 242 f. der Akten), das den Arbeitnehmern überreicht wurde, heißt es unter anderem:

„…

Sehr geehrte Damen und Herren,

unter Bezugnahme auf die durchgeführte Belegschaftsversammlung möchte der Unterzeichner Ihnen nochmals zusammengefasst die Sach- und Rechtslage des Arbeitnehmers im Insolvenzverfahren zusammenfassen:

1. Das Arbeitsverhältnis bleibt in seinem Bestand grundsätzlich durch einen Insolvenzantrag zunächst unberührt. Der Arbeitnehmer bleibt weiterhin im bestehenden Arbeitsverhältnis. Insbeson...

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