Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisverwertungsverbot für nicht unverzüglich gelöschte Videoaufnahmen zur Überwachung des Hausrechts in einem öffentlich zugänglichen Ladenlokal. Unwirksame außerordentliche Kündigung einer Ladenangestellten wegen strafbarer Handlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 6b Abs. 5 BDSG i.d.F. v. 14.1.2003 sind die Daten einer offenen Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts und zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke in einem öffentlich zugänglichen Ladenlokal unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen

2. Es ist mit dieser Vorschrift ist es nicht vereinbar, wenn ein Ladeninhaber die Videoaufzeichnungen wegen eines bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge der Filiale im dritten Quartal 2016 im dritten Quartal festgestellten Verdachts auf Wareschwund auswertet, die im Zeitpunkt der Auswertung nahezu sechs Monate alt sind.

3. Wegen der Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den Verstoß gegen den Datenschutz besteht ein Beweisverwertungsverbot. Die fraglichen Videoaufzeichnungen nicht zum Nachweis der vom Arbeitgeber behaupteten vorsätzlichen Vermögensschädigungen verwertet werden.

 

Normenkette

GG Art. 1-2; DBSG §§ 6b, 32; BGB §§ 133, 140, 626; GG Art. 1 Abs. 1, 3, Art. 2 Abs. 1; BDSG § 1 Abs. 1-2, § 6b Abs. 1, 5, § 32 Abs. 1 S. 2; BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 19.01.2017; Aktenzeichen 4 Ca 1501/16)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 19.01.2017 - 4 Ca 1501/16 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom Beklagten mit Schreiben vom 13.08.2016 erklärten fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie um Schadensersatzansprüche, die vom Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemacht werden.

Die 1970 geborene Klägerin ist verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Sie war in der Zeit vom 24.03.2016 bis zum 13.08.2016 bei dem Beklagten im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig, der u.a. in J einen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle betrieb. Der Beklagte schloss seine Lottoannahmestelle in J zum 21.09.2016. Die Klägerin hat zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 450,00 € erzielt. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 13.08.2016 (Bl. 4 d.A.), das von dem Beklagten und einer Frau H unterzeichnet ist, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos "wegen der begangenen Straftaten" (wegen der weiteren Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift verwiesen). Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz durch eine Mitarbeiterin der Innenrevision, Frau I, sowie die weitere Mitarbeiterin Q übergeben.

Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit ihrer am 18.08.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Die hat die Ansicht vertreten, dass die fristlose Kündigung mangels Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes unwirksam sei, weil sie den Beklagten nicht vorsätzlich geschädigt, insbesondere kein Geld unterschlagen habe. Der Beklagte könne die ausgesprochene fristlose Kündigung auch nicht auf einen dringenden Tatverdacht stützen, weil sich sein Vorbringen weitgehend in der Äußerung von vagen Verdachtsmomenten erschöpfe und sie vor Ausspruch der Kündigung zu den erhobenen Tatvorwürfen gar nicht angehört worden sei.

Die Klägerin hat - soweit dies für das Berufungserfahren von Interesse ist - beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13.08.2016 aufgelöst ist.

Der hat Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen sowie widerklagend

die Klägerin zur Zahlung von 475,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2016 zu verurteilen.

Der Beklagte hat behauptet, bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge der Filiale in J im dritten Quartal 2016 sei ein Warenschwund, insbesondere bei Tabakwaren festgestellt worden. Daraufhin sei ab dem 01.08.2016 das in der Filiale installierte Videogerät von der Zeugin G analysiert worden. Für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2016 seien zwei Arbeitstage der Klägerin analysiert worden. Am 03.02.2016 habe die Klägerin in drei Fällen Tabakwaren im Wert von insgesamt 35,00 € verkauft, das Geld jedoch in die Lottokasse gelegt. Um 13.05 Uhr sei sie mit der Lottokasse ins Büro gegangen und sofort wieder zurückgekommen, habe die Kasse jedoch in der anderen Hand gehalten. Am 04.02.2016 habe es in drei Fällen Unregelmäßigkeiten gegeben und zwar um 10.10 Uhr, 12.25 Uhr und 13.25 Uhr. Die Klägerin habe um 13.03 Uhr den Verkaufsraum mit Lottokasse für zwei Minuten verlassen, um 13.29 Uhr sei die Ablös...

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