Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorrang der Unkündbarkeitsregelung bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste

 

Leitsatz (amtlich)

Durch einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG a.F. [1996] werden die einzel- und tarifvertraglichen Unkündbarkeitsregelungen nicht außer Kraft gesetzt. Dies folgt aus einem Vergleich mit den Regelungen der Insolvenzordnung. Dort sieht § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO vor, daß das Arbeitsverhältnis nach Verfahrenseröffnung jederzeit, d.h. nicht nur beschränkt für den Fall der Betriebsstillegung,

  • ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer (§ 620 BGB) oder
  • einen „(einzel- oder tarif-)vertraglichen” Ausschluß des Rechts zur ordentlichen Kündigung

gekündigt werden kann, wobei die Kündigungsfrist längstens drei Monate zum Monatsende beträgt (§ 113 Abs. 1 Satz 2 InsO). Mangels vergleichbarer gesetzlicher Regelung kann ein Arbeitsverhältnis mithin außerhalb der Insolvenz nur nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen betreffend die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist wegen Betriebsstillegung gekündigt werden.

 

Normenkette

BetrVG § 111 S. 2, § 112a Abs. 1 S. 1; KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 4, Abs. 3 S. 3; KSchG 1996 § 1 Abs. 5 Sätze 2, 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 26.02.1999; Aktenzeichen 1 Ca 2111/98)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 26.02.1999 (1 Ca 2111/98) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 36.350,00 DM = 18.585,46 [egr] festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Verkehrstechnik. Ihr Lieferprogramm umfaßt Lauf- und Triebradsätze und Radsatzkomponenten aller Art für den schienengebundenen Nah- und Fernverkehr. Sie beschäftigte im Jahre 1998 ca. 850 Arbeitnehmer und hat heute noch ca. 650 Arbeitnehmer.

Der am 06.04.1944 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.07.1970 als Ingenieur beschäftigt. Sein monatliches Gehalt belief sich zuletzt 7.270,00 DM.

In einer Zusatzvereinbarung zu dem zuletzt gültigen und mit den Schmiedewerken K……..-K………… GmbH, einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, geschlossenen Anstellungsvertrag vom 06.06.1986 heißt es:

Zusätzlich zu Ihrem Anstellungsvertrag vom 06. Juni 1986 vereinbaren wir mit Ihnen, daß die in Ihrem Vertrag mit der Krupp Stahl AG unter Ziffer 21 Abs. 2 vereinbarte Bestimmung zur Sicherung Ihres bisherigen Besitzstandes weiterhin Gültigkeit hat:

Nach Vollendung Ihres 50. Lebensjahres werden wir eine Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses aus wirtschaftlichen oder innerbetrieblichen Gründen oder wegen Rationalisierungsmaßnahmen nicht aussprechen. Eine Kündigung aus den genannten Gründen ist jedoch zulässig, wenn Sie das 59. Lebensjahr vollendet haben und wir Ihnen eine Abfindung zahlen, durch die gewährleistet ist, daß Sie unter Berücksichtigung von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes der gesetzlichen Rentenversicherung so gestellt sind, als ob Ihr Arbeitsverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt weiterbestehen würde. Im Anschluß erhalten Sie zu dem vorgezogenen Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung die Leistungen des Essener Verbandes oder unserer Pensionsordnung in der Höhe, wie sie sich bei Fortbestand Ihres Arbeitsverhältnisses bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres ergeben würde.

Am 20.08.1998 vereinbarte die Geschäftsleitung der Beklagten mit dem von der Belegschaft gewählten Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan”, die von dem Geschäftsführer Dr. B………….. und dem Betriebsratsvorsitzenden auf jeder Seite paraphiert und am Ende von diesen beiden Personen sowie von dem Geschäftsführer Dr. H……………. und dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden M……. und dem Vertrauensmann der Schwerbehinderten Sareyka unterzeichnet ist. In dieser Vereinbarung ist unter anderem bestimmt:

Präambel

Am 18.05.1998 hat der Konkursverwalter, Herr Rechtsanwalt Dr. J……… W……………, aus der Konkursmasse der V………. S………………….. GmbH i.K. die V…… V…………………….. GmbH an die G………………………….. H………..GmbH veräußert.

Die neuen Gesellschafter sind die G………………………….. H………..GmbH (98%) und die B… Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft mbH (2%).

Das seit dem 31.03.1995 andauernde Anschlußkonkursverfahren der Muttergesellschaft und die seit dieser Zeit ungeklärte Situation bei der operativen Tochtergesellschaft V…… V…………………….. GmbH hatte zur Folge, daß das Unternehmen in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten kam.

Die überfällige wirtschaftliche Umstrukturierung des Unternehmens sowie die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem nationalen und dem internationalen Markt ist nur dadurch zu erreichen, daß Einsparungs- und Effizienzsteigerungen kurzfristig er...

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