Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung. Diebstahl

 

Leitsatz (amtlich)

Diebstahl einer Tafel Schokolade durch Lageristen im Lebensmitteleinzelhandel, welche wegen bevorstehender Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums bereits ausgesondert und zur Abgabe für soziale Zwecke bestimmt war; Interessenabwägung bei langjähriger beanstandungsfreier Tätigkeit führt zur Unwirksamkeit der Kündigung

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Hamm (Urteil vom 30.09.2011; Aktenzeichen 4 Ca 579/10)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 2 AZN 844/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 30.09.2011 – 4 Ca 579/10 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, welche die Beklagte auf den Vorwurf bzw. Verdacht eines Diebstahls stützt. Ferner macht der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits und Zahlungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges geltend.

Der im Jahre 1952 geborene, mit einem GdB von 70 als Schwerbehinderter anerkannte, verheiratete und gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 19.06.1975 im Betrieb der beklagten Handelsgesellschaft als Lagerist im Lager H1 mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.900,– EUR bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 18.03.2010 (Bl. 6 d. A.) sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus. Zuvor hatte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat unter dem 25.02.2010 zur beabsichtigten Kündigung angehört; der zur Gerichtsakte gereichte Anhörungsbogen vom 25.02.2010 (Bl. 57 d. A.), welcher zur Frage der Schwerbehinderung die Angabe „keine” aufweist, wurde nach Behauptung der Beklagten durch einen korrigierten Anhörungsbogen vom selben Tage mit zutreffenden Angaben über die Schwerbehinderung des Klägers ersetzt. Ferner hatte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes beantragt. Diese wurde mit Bescheid vom 17.03.2010 (Bl. 5 d. A.) erteilt. Nach erfolglosem Widerspruch führt der Kläger ein diesbezügliches Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht.

Zur Begründung der ausgesprochenen Kündigung hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe am 24.02.2010 entgegen dem umfassenden Verbot, Ware aus dem Lager mitzunehmen oder zu verzehren, eine Tafel Schokolade, welche sich wegen bevorstehenden Ablaufs des Mindesthaltbarkeitsdatums in einem Retouren-Container befunden habe, an sich genommen und in seiner Arbeitsjacke versteckt,. Hierbei sei er beobachtet und zur Rede gestellt worden, worauf er erklärt habe, er habe die Schokolade nicht stehlen, sondern verzehren wollen. Demgegenüber hat der Kläger vorgetragen, er habe die Tafel Schokolade in einem Gang des Lagers auf dem Boden gefunden und an sich genommen, um sie nach Erledigung seiner aktuellen Arbeit in den Container zu legen. Abweichend vom Vortrag der Beklagten habe er nicht erklärt, die Schokolade verzehren zu wollen, vielmehr habe er dem betreffenden Gespräch mit Rücksicht auf seine starke Schwerhörigkeit nicht folgen können.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 18.03.2010 nicht beendet wird.
  2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lagerist weiter zu beschäftigen.
  3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.496,77 EUR brutto abzüglich an die Bundesagentur für Arbeit zu zahlender 708,89 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins vom Differenzbetrag seit dem 30.06.2010 zu zahlen.
  4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Monate Juli 2010 und August 2010 jeweils weitere 1.900,– EUR brutto abzüglich an die Bundesagentur für Arbeit zu zahlende 1.119,30 EUR netto an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Urteil vom 30.09.2010 (Bl. 89 ff.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach den Klageanträgen erkannt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, welcher der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar mache, liege auch auf der Grundlage des als wahr unterstellten Beklagtenvortrages nicht vor. Ausgehend vom Vortrag der Beklagten liege zwar in der Entnahme der Tafel Schokolade aus dem Retouren-Container ein Eigentumsdelikt zu Lasten der Beklagten, welches grundsätzlich geeignet sei, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Auch wenn nicht verkannt werde, dass die Beklagte in besonde...

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