Entscheidungsstichwort (Thema)

Zweistufige Ausschlussfrist. gerichtliche Geltendmachung. Tarifvertrag. tarifliche Ausschlussfrist. Annahmeverzug. Bestandsschutzrechtsstreit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine zweistufige tarifliche Ausschlussfrist, die eine Frist von zwei Monaten zur gerichtlichen Geltendmachung auch solcher Ansprüche anordnet, die – wie Ansprüche auf Annahmeverzugslohn – vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen, verletzt das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG), da sich das Kostenrisiko des klagenden Arbeitnehmers im Bestandsschutzrechtsstreit unangemessen erhöht, wenn ihn die Obliegenheit trifft, derartige Ansprüche während des noch laufenden Bestandsschutzverfahrens einzuklagen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 01.12.2010 – 1 BvR 1682/07).

2. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist für Ansprüche, die vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen, entfällt; vielmehr beginnt die Frist zur Geltendmachung dieser Ansprüche mit dem rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzrechtsstreits. Die tarifvertragliche Regelung ist insoweit fortzubilden bzw. ergänzend auszulegen.

 

Normenkette

BGB § 615; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 10.06.2010; Aktenzeichen 4 Ca 2441/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.09.2012; Aktenzeichen 5 AZR 627/11)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 10.06.2010 – 4 Ca 2441/09 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Nachzahlung von weiterem Arbeitsentgelt für die Monate April 2008 bis September 2008 gegen die Beklagte zusteht.

Der am 14.08.1960 geborene Kläger ist seit dem 29.01.2006 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin im Betrieb in E1 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Die Beklagte hat ihren Hauptsitz in O1 in Hessen. Im Arbeitsvertrag vom 15.12.2006 ist unter § 2 vereinbart, dass die tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen für das Arbeitsverhältnis gelten. § 8 des Rahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom 27.04.2005 (nachfolgend: RTV) lautet:

  1. „Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.
  2. Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.
  3. Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.”

Zwischen den Parteien war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2008 vereinbart. Über die Wirksamkeit dieser Befristung führten die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hagen. Mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 12.08.2008 (1 Ca 372/08) wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung zum 31.01.2008 beendet worden ist. Das Urteil ist den Parteien am 29.08.2008 zugestellt und rechtskräftig geworden.

Am 22.02.2008 unterzeichnete der Kläger ein mit „Empfangsbestätigung-Ausgleichsquittung” überschriebenes Dokument (Ablichtung Blatt 17 der Akten). Unter dem 11.03.2008 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über ein befristetes Prozessbeschäftigungsverhältnis ab (Ablichtung Blatt 16 der Akten). Am 13.04.2008 nahm Kläger die Arbeit auf.

Die Beklagte vergütete bis einschließlich September 2008 im Wesentlichen nur die geleisteten Arbeitsstunden des Klägers ohne Zuschläge und Sonderzahlungen; der Kläger erhielt auch keine Entgeltfortzahlung für Feiertage und Urlaubstage. Ab Oktober 2008 wurde der Kläger wieder zu den ursprünglichen Bedingungen eingesetzt und vergütet.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.07.2008 (Ablichtung Blatt 71 d. A.), welches vorab per Telefax an die Beklagte gesandt wurde, beanstandete der Kläger die zu niedrige Zahlung des Lohns für den Zeitraum von April bis Juni 2008 und machte die fehlenden Lohnbestandteile auch für die Zukunft geltend. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.07.2009 (Ablichtung Blatt 22f. der Akten) machte der Kläger Differenzlohnansprüche für die Zeit vom 01.02.2008 bis 30.09.2008 geltend und bezifferte diese Ansprüche. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10.08.2009 (Ablichtung Blatt 24f. der Akten) lehnte die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche ab.

Mit seiner am 09.10.2009 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Klage hat der Kläger Entgeltansprüche für den Zeitraum von 01.02.2008 bis zum 30.09.2008 eingefordert. Innerhalb dieser Zeit erhielt er Arbeitslosengeld in Höhe von 2.660,46 EUR sowie von der Beklagten Gehalt in Höhe von zuletzt unstreitig 10...

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