Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen der Angabe unrichtiger Tatsachen bei der Anhörung des Betriebsrats zu einer personenbezogenen Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Entschließt der Arbeitgeber sich aufgrund umfangreicher krankheitsbedingter Ausfallzeiten des Arbeitnehmers zu einer Kündigung mit der Begründung, dieser habe nicht sämtliche Maßnahmen ergriffen, um seine Gesundheit wieder herzustellen, so erweist sich die Kündigung als unwirksam, wenn in der Anhörung des Betriebsrats neben den Ausfallzeiten angeführt wird, der Arbeitnehmer habe eine ihm empfohlene Schmerztherapie vorzeitig abgebrochen und dies nicht den Tatsachen entspricht.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Entscheidung vom 07.01.2014; Aktenzeichen 3 Ca 1466/12 O)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.07.2015; Aktenzeichen 2 AZR 15/15)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 07.01.2014 - 3 Ca 1466/12 O - abgeändert:

    Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 16.11.2012 aufgelöst ist.

    Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Produktionsmitarbeiter in ihrem Betrieb in Olpe weiter zu beschäftigen.

  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Hauptsache um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der 1980 geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 09.02.1998 als Produktionsmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Mittlerweile ist der drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Die monatliche Bruttovergütung lag zuletzt bei 2.699,66 €.

Die Beklagte beschäftigt ständig etwa 450 Mitarbeiter; ein Betriebsrat ist gewählt.

Der Kläger war im Jahre 2006 an 32 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, im Jahre 2007 an 21 Arbeitstagen, im Jahre 2008 an 25 Arbeitstagen, im Jahre 2009 an mindestens 20 Arbeitstagen, im Jahre 2010 an 43 Arbeitstagen, im Jahre 2011 an mindestens 32,5 Arbeitstagen und im Jahre 2012 bis zum 05.11. an insgesamt 56 Tagen. Jedenfalls am 24.03.2009 sowie am 04.01.2012 fanden Gespräche mit dem Kläger im Hinblick auf dessen Arbeitsunfähigkeitszeiten statt. Wegen der von der Beklagten so überschriebenen “Anhörungsprotokolle„ vom 24.03.2009 und 04.01.2012 wird auf die Kopien Bl. 39 und 39 d.A. Bezug genommen.

Nach dem Gespräch vom 04.01.2012 organisierte die Beklagte einen Untersuchungstermin bei der Werksärztin Q, den der Kläger auch wahrgenommen hat. Mit Schreiben vom 10.07.2012 (Kopie Bl. 30 d.A.) wandte sich die Beklagte an den Kläger unter Nennung seiner seit dem Jahre 2009 aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten und teilte u.a. mit:

“Wir möchten mit Ihnen daher erörtern, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und neue Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann (Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX).„

Die Einladung zu einem entsprechenden Gespräch nahm der Kläger auch an; es fand am 08.08.2012 in Anwesenheit eines Vertreters des Betriebsrates und der IG Metall und der betrieblichen Schwerbehindertenvertreter statt. Daneben sorgte die Beklagte für eine Übersetzung.

Nachdem der Kläger nach diesem Gespräch erneut erkrankte, wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 05.11.2012 an den bei ihr gewählten Betriebsrat und bat um Zustimmung zu einer beabsichtigten, ordentlichen Kündigung. In der schriftlichen Anhörung des Betriebsrates findet sich zunächst eine Darstellung der krankheitsbedingten Fehlzeiten seit dem Jahre 2010 nebst entsprechender Anlagen der Abwesenheitserfassung. Darüber hinaus ist ein Diagramm beigefügt, überschrieben mit “Vergleich bezahlte Anwesenheit gg. Krankheitsstunden in Prozent (jährliche Betrachtung).„

Weiterhin heißt es wörtlich in der Betriebsratsanhörung:

“Immer wieder wurde in den Rückkehrgesprächen nach überstandener Krankheit mit den verantwortlichen Vorgesetzten und dem Betriebsrat diese hohen AU-Zeiten thematisiert (am 23.10.2008. 24.03.2009 und 04.01.2012 - s. Anlage). In diesen Gesprächen gab Herr N zumeist Kopfschmerzen als Grund für die AU-Zeiten an. Wir haben dann nach dem letzten Rückkehrgespräch im Januar 2012 beschlossen, Herrn N bei unserer Werksärztin Frau Dr. Q im WAZ in Haiger vorzustellen. Dieser Termin fand am 16.01.20123 statt. Herr N wurde empfohlen, sich von einem Spezialisten untersuchen zu lassen und gezielt mit einer Therapie gegen den Kopfschmerz vorzugehen. Ein Folgetermin im WAZ für die 20. KW wurde ebenfalls terminiert.

Diese Schmerztherapie wurde aber bereits nach kurzer Zeit von Herrn N abgebrochen, der Folgetermin im Werkarztzentrum im Mai 2012 nicht wahrgenommen. Herr N hat damit nach unserer Einschätzung nicht alles getan, um seine Arbeitskraft vollständig wiederherzustellen.

Am 08.08.2012 haben wir mit Herrn N ein Eingliederungsgespräch wegen seiner hohen Krankenzeiten geführt. In diesem Gespräch konnte uns Herr N keine E...

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