Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsrente. Anpassung. Garantieanpassung. Prognoseentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Da § 16 Abs. 1 BetrAVG den Ausgleich des im Anpassungszeitraum eingetretenen Kaufkraftverlustes bezweckt, erfordern die Belange des Versorgungsempfängers grundsätzlich einen vollen Ausgleich. Es bleibt offen, ob der Arbeitgeber im Rahmen des ihm bei seiner Anpassungsentscheidung eingeräumten Beurteilungsspielraums neben den Belangen des Versorgungsempfängers und seiner wirtschaftlichen Lage als weitere Aspekte auch die steigenden privaten Vorsorgeaufwendungen der aktiven Arbeitnehmer sowie die allgemein gestiegene Lebenserwartung berücksichtigen darf. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass der Arbeitgeber diese Aspekte mit einem nachvollziehbaren rechnerischen Wert in Ansatz bringt.

2. Ein prozentuale oder summenmäßige Begrenzung der Anpassungspflicht des Arbeitgebers entspricht nicht billigem Ermessen im Sinne von § 16 Abs. 1 BetrAVG und ist nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 134 BGB nichtig. Dies gilt außerhalb des Anwendungsbereichs des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG auch dann, wenn der Arbeitgeber uneingeschränkt zusagt, künftig in regelmäßigen Zeitabständen die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung um einen bestimmten Prozentsatz zu erhöhen.

3. Der Arbeitgeber muss im Rahmen seiner Anpassungsentscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG eine Prognose darüber anstellen, ob es ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit möglich sein wird, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen und den verfügbaren Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens aufzubringen. Davon ist er nicht deshalb entbunden, weil die Besonderheiten der Unternehmensbranche es bedingen, dass typischerweise auf Jahre mit hohen Gewinnen Jahre folgen, in denen Verluste entstehen.

 

Normenkette

BetrAVG § 16 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Urteil vom 22.04.2008; Aktenzeichen 7 Ca 5877/07)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.10.2011; Aktenzeichen 3 AZR 527/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.04.2008 – 7 Ca 5877/07 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab November 2007 eine um 96,82 EUR brutto höhere Betriebsrente (insgesamt 3.406,75 EUR brutto) zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 968,20 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 96,82 EUR brutto seit dem 02.01.2007, 02.02.2007, 02.03.2007, 02.04.2007, 02.05.2007, 02.06.2007, 02.07.2007, 02.08.2007, 02.09.2007 und 02.10.2007 zu zahlen.
  3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/10 und die Beklagte 9/10.

Die Revision wird zugunsten beider Parteien zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte ihrer Verpflichtung, die betriebliche Altersversorgung des Klägers anzupassen, ausreichend nachgekommen ist.

Der am 13.09.1938 geborene Kläger war vom 01.07.1966 bis zum 30.09.1998 bei der Beklagten als Ingenieur, später als leitender Angestellter und Prokurist beschäftigt. Die Beklagte ist ein weltweit tätiges Ingenieurunternehmen, dessen Tätigkeitsbereich in der Planung und im Bau von Chemie-, Raffinerie- und anderen Industrieanlagen besteht. Sie gehört zum T2-K6-Konzern.

Seit dem 01.10.1998 bezieht der Kläger eine betriebliche Altersversorgung, die auf unterschiedlichen Versorgungskomponenten beruht und insgesamt über die Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechstgruppe abgewickelt wird. Sie hat ursprünglich insgesamt 5.910,08 DM (entspricht 3.021,78 EUR) betragen.

Die Beklagte nimmt Anpassungen bei ihren mehr als 1.800 Betriebsrentnern jeweils gebündelt zum 01. Januar vor. Die Versorgungsbezüge des Klägers wurden erstmals zum 01.01.2001 um 2,68 % auf 6.068,45 DM (entspricht 3.102,75 EUR) erhöht. Eine weitere Anpassung erfolgte zum 01.01.2004 um 3,57 % auf 3.213,53 EUR.

Mit Wirkung zum 01.01.2007 hob die Beklagte die betriebliche Altersversorgung des Klägers um 3,00 % auf 3.309,93 EUR an.

Mit Schreiben vom 20.09.2007 wandte sich die Beklagte wie folgt an den Kläger:

Anpassung Ihrer Betriebsrente zum 31.12.2009 sowie zum 31.12.2012

Sehr geehrter Herr S4,

T2 tätigt derzeit Investitionen in Höhe von über 6 Mrd. EUR in den Wachstumsregionen dieser Welt. Gleichzeitig stärkt T2 die deutschen Standorte und den Marktauftritt in Europa mit weiteren umfangreichen Investitionen. Diese Maßnahmen dienen dem langfristigen Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit von T2 sowie der nachhaltigen Beschäftigungssicherung. Dies geschieht auch im Interesse unserer Betriebsrentner an einer langfristigen Sicherung der Betriebsrenten.

T2 sicher die Zukunft.

Obwohl Ihre Betriebsrente rückwirkend zum 31.12.2006 nach § 16 BetrAVG angepasst wurde und daher erst im Jahr 2009 zur nächsten Prüfung ansteht, hat die U1 GmbH bei der Überprüfung der Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG bereits jetzt entsch...

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