Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens der Partei bei Abänderungsentscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten. Dabei macht es keinen Unterschied, daß nachträglich nicht der Richter nach §§ 119, 114 ZPO, sondern aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG an seiner Stelle der Rechtspfleger entscheidet.

2. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO einen Einmalbetrag aus dem Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (hier: 10% der Kündigungsabfindung).

 

Normenkette

ZPO §115; BSHG § 88 Abs. 2 Ziff. 8 Hs. 2, Abs. 3; RPflG § 20 Nr. 4 Buchst.c; ZPO § 120 Abs. 4 S. 1 Hs. 1, § 124 Nr. 3 Hs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamm (Beschluss vom 23.08.2002; Aktenzeichen 4 Ca 662/02)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der PKH-Abänderungs-beschluß des Arbeitsgerichts Hamm vom 23.08.2002 – 2 Ca 662/02 – aufgehoben.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin hat mit Klageschrift vom 22.03.2002, bei dem Arbeitsgericht am gleichen Tage per Telefax eingegangen, eine Kündigungsschutzklage erhoben. Mit Schriftsatz vom 02.04.2002, bei dem Arbeitsgericht am 03.04.2002 eingegangen, hat sie unter Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 19.03.2002 um ratenfreie Prozeßkostenhilfe sowie um Beiordnung von Rechtsanwalt B3xxxxxxxx aus W1xx nachgesucht.

Im Gütetermin vom 30.04.2002 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung mit dem 15.04.2002 beendet worden ist und die Beklagte an die Klägerin wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 3.000,00 EUR zahlt.

Das Arbeitsgericht Hamm hat nach Vergleichsabschluß sodann folgenden PKH-Beschluß erlassen:

Der Klägerin wird Prozeßkostenhilfe gewährt unter Beiordnung von Rechtsanwalt B3xxxxxxxx ab dem 03.04.2002. Die Klägerin ist derzeit nicht zur Ratenzahlung verpflichtet. Die Entscheidung ergeht unter dem Vorbehalt der Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Nach Anhörung der Klägerin hat Arbeitsgericht Hamm mit Beschluß vom 23.08.2002 – 2 Ca 662/02 – die PKH-Bewilligung vom 30.04.2002 unter Bezugnahme auf § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert und angeordnet, daß die Klägerin „nunmehr auf die Kosten des Verfahrens einen Betrag aus der Abfindung von 85,00 EUR zu zahlen” hat, und dafür den Zahlungsbeginn auf den 15.09.2002 festgesetzt.

Gegen den am 29.08.2002 zugestellten Beschluß hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.08.2002, bei dem Arbeitsgericht am 02.09.2002 eingegangen, sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, ein PKH-Abänderungsbeschluß dürfe nur ergehen, wenn sich nach der PKH-Bewilligung die dieser Entscheidung zugrunde liegenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert oder verschlechtert hätte. An einer solchen Änderung fehle es hier, wenn eine solche in dem Vergleichsabschluß vom 30.04.2002 gesehen werde, denn liege zeitlich vor der PKH-Bewilligung.

 

Entscheidungsgründe

II. Die nach § 11 RPflG i.V.m. §§ 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 127 Abs. 2, 222 Abs. 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet, denn es liegen weder die Voraussetzung für eine Abänderungsentscheidung nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO noch für eine Aufhebungsentscheidung nach § 124 Nr. 3 ZPO vor.

1. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Nach § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die PKH-Bewilligung aufheben, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse „von vornherein” nicht vorgelegen haben. Hat die Partei richtige und vollständige Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und hat das Prozeßgericht uneingeschränkt Prozeßkostenhilfe bewilligt, ist eine Abänderung oder Aufhebung von Amts wegen aufgrund einer geänderten Beurteilung der Sach- und Rechtslage (OLG Stuttgart v. 05.04.1984 – 15 WF 140/84, FamRZ 1984, 722 = Justiz 1984, 397; OLG Hamburg v. 15.11.1995 – 12 WF 146/95, FamRZ 1996, 874 = Rpfleger 1996, 163; OLG Karlsruhe v. 31.05.2000 – 2 WF 40/00 + 2 WF 41/00, n.v.; a.A. OLG Köln v. 08.06.1982 – 21 WF 78/82, FamRZ 1982, 1226; OLG Zweibrücken v. 26.09.1984 – 2 WF 172/83, Rpfleger 1985, 165) oder einer rechtsirrig erfolgten Bewilligung nicht zulässig (OLG Hamm v. 28.05.1984 – 3 WF 125...

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