Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung einer, tariflich altersgesicherten Arbeitnehmerin. Auslegung des MTV für die Wohnungswirtschaft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff „Fortfall wesentlicher Unternehmensaufgaben” i. S.v. MTV f.d. Wohnungwirtschaft (§ 17 Abs. 4) ist qualitativ und nicht quantitativ auszulegen.

2. Im Falle einer a.o. Kündigung mit tariflicher/gesetzlicher Kündigungsfrist eines altersgesicherten, kündigungsgeschützten ArbN ist die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB unbeachtlich. Der Zweck dieser Norm, nämlich daß unwiderleglich vermutet wird die Zumutbarkeit der Fortsetzung des ArbVerh. für die Dauer der Kündigungsfrist, läuft hier leer, weil der ArbGeb. trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes zur Einhaltung der Kündigung frist gezwungen wird.

3. Keinesfalls beginnt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB, bevor die Arbeitsausgabe … und damit der Bedarf an der Arbeitskraft des aus betriebsbedingten Gründen gekündigten ArbN weggefallen ist.

4. Der Fortfall der Aufgaben und damit des Bedarfs an der Arbeitskraft kann einen wichtigen Grund … … darstellen, wenn nur noch eine a.o. Kündigung wegen tarifliche Alterssicherung in Betracht kommt.

 

Normenkette

BGB § 626; MTV § 17 für d. Wohnungswirtschaft

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 04.09.1996; Aktenzeichen 7 Ca 157/96)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 4. September 1996 – 7 Ca 157/96 – dahin abgeändert, daß festgestellt wird, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund der außerordentlichen Kündigung vom 27. Juni 1996 am 31. Dezember 1996 geendet hat. Im übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Klage wird im übrigen abgewiesen, und zwar auch hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsbegehrens.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin ¾, die Beklagte 1/4.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen und danach (vorsorglich) ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung. Streit herrscht in erster Linie darüber, ob die betriebsbedingte Kündigung der altersgesicherten unkündbaren Klägerin nach dem hier anwendbaren Manteltarifvertrag nur als außerordentliche oder ausnahmsweise doch als ordentliche ausgesprochen werden durfte.

Die Beklagte befaßt sich mit dem Immobiliengeschäft. Sie beschäftigte Anfang 1995 noch 31 Arbeitnehmer, Ende 1995 noch 23, heute weniger als 20. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet worden.

Die heute 59 Jahre alte unverheiratete Klägerin wurde zum 1. Oktober 1984 als Sekretärin der Geschäftsführung eingestellt. Sie war u. a. für die Geschäftsführer … und …, zuletzt (ab Mai 1992) für den Geschäftsführer … tätig. Dieser schied kurzfristig zum Jahresende 1995 aus. Seine Position ist nicht wieder besetzt worden. Die Aufgaben der Geschäftsführung werden nunmehr insgesamt von dem noch verbliebenen Geschäftsführer … wahrgenommen.

Im Einstellungsschreiben werden die jeweiligen Bestimmungen der Tarifverträge für die Angestellten der Wohnungswirtschaft für anwendbar erklärt (Bl. 74–75 d. A.). Das Monatsgehalt der Klägerin betrug zuletzt DM 7.080,– brutto.

Mit Schreiben vom 19. März 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Hinweis auf den Fortfall der Position des zweiten Geschäftsführers und dem dadurch bedingten Fortfall der Stelle einer zweiten Sekretärin der Geschäftsführung aus betriebsbedingten Gründen zum 30. September 1996 (Bl. 4 d. A.).

Mit Schreiben vom 27. Juni 1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut mit derselben Begründung, nunmehr jedoch unter Hinweis auf die tarifliche Alterssicherung außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31. Oktober 1996 bzw. unter Wahrung der tariflichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 1996 und lediglich vorsorglich für den Fall, daß die bereits zum 30. September 1996 ausgesprochene Kündigung unwirksam sein sollte (Bl. 21 d. A.).

Wegen der Anhörung des Betriebsrats (BetrR) wird auf das Anhörungsschreiben vom 1. März 1996 (Bl. 13 d. A.) und vom 19. Juni 1996 (Bl. 30–31 d. A.) verwiesen. Der BetrR hat beiden Kündigungen widersprochen. Auf den Inhalt der Schreiben vom 7. März 1996 (Bl. 5 d. A.) und vom 24. Juni 1996 (Bl. 22 d. A.) wird Bezug genommen.

Die Klägerin macht mit ihrer Klage die Rechtsunwirksamkeit bzw. Sozialwidrigkeit der Kündigungen geltend. Sie rügt die nicht ordnungsgemäße Anhörung des BetrR. Die ordentliche Kündigung hält sie für unzulässig, weil der im MTV vorgesehene Ausnahmetatbestand nicht gegeben sei, die vorsorgliche außerordentliche Kündigung hingegen für unbegründet, und zwar schon deshalb, weil die Beklagte die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 19. März 1996 zum 30. September 1996 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 27. Juni 1996 mit sozialer Auslauffrist zum 31. Oktober 1996 bzw. zum 31. Dezembe...

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