Entscheidungsstichwort (Thema)

Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung qua Direktionsrecht. Kein wirksames Angebot des Arbeitnehmers i.S.d. Annahmeverzugs bei Angebot anderweitiger Tätigkeit. Zeitanteilige Quotelung der betrieblichen Sonderzahlung nach tariflichen Vorgaben. Bestimmtheitsgebot bei Abmahnungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber kann unbeschadet der Regelungen der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und der hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung nach § 106 Satz 1 GewO kraft seines Direktionsrechts grundsätzlich das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung anordnen, sobald der Arbeitnehmer seinen Arbeitsbereich (Filiale eines Geldinstituts) betritt.

2. Kann der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus einem in seiner Person liegenden Grund nicht mehr ausüben (kein Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischem Grund), aber eine andere im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist das Angebot dieser anderen Tätigkeit ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch Neuausübung seines Direktionsrechts diese Tätigkeit zu der i.S.d. § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Ein Annahmeverzug des Arbeitgebers tritt nicht ein.

3. Sieht ein Tarifvertrag vor, dass sich die betriebliche Sonderzahlung für jeden Kalendermonat ohne Anspruch auf Gehalt um 1/12 vermindert, so liegt diese Regelung in der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien und ist rechtlich nicht zu beanstanden.

4. Eine Abmahnung erfolgt zu Unrecht, wenn sie nicht hinreichend bestimmt ist. Unwahre oder pauschale missbilligende Äußerungen in Abmahnungen sind weder bestimmt noch zutreffend. Es wird in solchen Fällen weder deutlich, welche konkreten Äußerungen wem gegenüber beanstandet werden, noch dass und wann diese ggfs. eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers bilden könnten. In entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB kann die Entfernung einer nicht hinreichend bestimmten Abmahnung aus der Personalakte verlangt werden.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 280 Abs. 1, §§ 293-294, 296, 611a Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 1004 Abs. 1 S. 1; GewO § 106 S. 1; MTV für das private Bankgewerbe § 10 Nr. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 23.03.2021; Aktenzeichen 15 Ca 566/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten und unter ihrer Zurückweisung im Übrigen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. März 2021 - 15 Ca 566/20 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein 13. Monatsgehalt in Höhe von 4.374,33 € brutto abzüglich gezahlter 3.098,85 € netto nebst Zinsen in Höhe von 4,12% ab dem 24. November 2020 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger erteilte Abmahnung vom 30. Oktober 2020 aus der Personalakte zu entfernen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an die Beklagte 1.693,29 € zu zahlen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben der Kläger zu 76/100 und die Beklagte zu 24/100 zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 81/100 und die Beklagte zu 19/100 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Annahmeverzugslohn und Entfernung einer Abmahnung.

Der Kläger ist ausgebildeter Bankkaufmann und bei der Beklagten, einem Geldinstitut, seit dem 01. August 1990 beschäftigt, zuletzt auf Grundlage eines Schreibens vom 09. Juni 1992 (Bl. 9 d.A.), das auf u.a. auf die Geltung der Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Bezug nimmt, als Finanzberater in der Filiale XXX in Hamburg gegen eine jeweils zum 23. eines Monats fällige Bruttomonatsvergütung in Höhe von 4.772,00 €.

Das Beratungskonzept der Beklagten sieht vorrangig eine persönliche Kundenberatung vor. Daneben bietet sie auch eine so genannte "Direktberatung" durch in ihrer Verwaltungszentrale angesiedelte Mitarbeiter über Telefon, E-Mail und Video an.

Im Zuge beklagtenseitig für Mitarbeiter und Kunden angeordneten Corona-Schutzmaßnahmen kam es zu Differenzen zwischen den Parteien. Bis zum 19. Oktober 2020 trug der Kläger, soweit nach den bestehenden Vorgaben außerhalb seines eigentlichen, mit Plexiglas-Schutzwänden ausgestatteten Beraterarbeitsplatzes erforderlich, bei der Arbeit und während seines Aufenthaltes in der Filiale einen so genannten Face-Schild. Am 19. Oktober 2020 wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten dazu aufgefordert, anstelle des Face-Schildes entsprechend den inzwischen erfolgten Vorgaben der Beklagten eine Mund-Nasen-Bedeckung anzulegen. Dies verweigerte der Kläger unter Hinweis auf gesundheitliche Gründe. Er wurde daraufhin angewiesen, die Filiale zu verlassen und der Beklagten ein diesbezügliches Attest vorzulegen. Mit E-Mail vom 20. Oktober 2020 (Anlage B 4, Bl. 79 d.A.) wurde die Anweisung zur Attestvorlage wiederholt, der Kläger alternativ aufgefordert, unter Einhaltung der allgemeinen angeordneten Schutzmaßnahmen zur Arb...

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