Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verweisung auf die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in einem Tarifvertrag rechtfertigt nicht schon den Schluß auf eine dynamische deklaratorische Verweisung.

2. Die Rechtsprechung des BAG zu den tariflichen Kündigungsfristen im Zusammenhang mit dem KündigungsfristenG ist hier nicht anwendbar.

3. Im Zweifel wollen die TVParteien eine konstitutive Regelung treffen und einen im Arbeitsleben erreichten sozialen Besitzstand absichern und nicht unter den Vorbehalt des staatlichen Gesetzgebers stellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn zum Zeitpunkt späterer Tarifänderungen an bisherigen Begriflichkeiten (hier: LFZG) festhalten.

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Zweifel kann nicht davon ausgegangen werden, daß die TVParteien auf ihren Normsetzungswillen verzichten wollten.

 

Normenkette

EFZG § 3 Abs. 1; MTV für das Gaststätten Hotelgewerbe der FreienHansestadt Hamburg § 10 Ziff. 5 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Urteil vom 01.10.1997; Aktenzeichen 13 Ca 278/92)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.06.1999; Aktenzeichen 5 AZR 435/98)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 1. Oktober 1997 – 13 Ca 278/97 – wie folgt abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt war, für den AU-Zeitraum des Klägers vom 19.–26. März 1997 einen Tag des Jahresurlaubs 1997 zu verrechnen.
  2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 41,82 (i.W.: Deutsche Mark einundvierzig 82/100) brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1997 zu zahlen.
  3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  4. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob es sich bei der Bezugnahmeklausel im Tarifvertrag um eine konstitutive oder deklaratorische Klausel handelt, in welchem Fall sich der Kläger mit der gesetzlichen Lohnfortzahlung von lediglich 80% begnügen müßte.

Der Kläger ist seit 1965 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Koch im … in Hamburg beschäftigt. Seine Monatsvergütung beträgt derzeit DM 4.600,– brutto.

Auf das Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe der Freien und Hansestadt Hamburg (MTV) anwendbar. Beide Parteien sind tarifgebunden. Der MTV i. d. F. vom 4. Juli 1994 enthält in § 10 Ziff. 5 Abs. 4 für den Fall der Arbeitsunfähigkeit folgende Regelung (Bl. 36 d. A.):

„Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer haben bei Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Bezahlung des Gehaltes/Lohnes entsprechend den Vorschriften des BGB bzw. des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle für die Dauer von 6 Wochen.”

Der Kläger war im Zeitraum vom 19. März bis 26. März 1997 arbeitsunfähig krank. Daraufhin ließ er sich für fünf der sechs Krankheitstage einen Urlaubstag anrechnen. Für den sechsten Krankheitstag zahlte die Beklagte eine um 20% gekürzte Vergütung.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten diese der Höhe nach unstreitige Vergütungsdifferenz von DM 41,82 brutto, im übrigen die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit, soweit die Beklagte einen Urlaubstag angerechnet hat.

Er vertritt die Auffassung, daß der MTV hinsichtlich der Lohnfortzahlung konstitutiv und nicht lediglich deklaratorisch sei, so daß die Absenkung des gesetzlichen Krankenlohns von 100% auf 80% durch Art. 3 des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 13. September 1996 i. V. m. § 3 Abs. 1 EFZG n. F. unbeachtlich sei und die Beklagte durch ihre Handhabung gegen die Tarifnorm des § 10 Ziff. 5 Abs. 4 MTV verstoßen habe.

Der Kläger hat beantragt.

  1. festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt war, für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 19. – 26. März 1997 einen Tag des Jahresurlaubs 1997 zu verrechnen,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 41,82 brutto nebst 4% Zinsen seit dem 1. April 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei § 10 Ziff. 5 Abs. 4 MTV lediglich um eine deklaratorische Tarifnorm, weshalb die am 1. Oktober 1996 in Kraft getretene Gesetzesänderung auf das Arbeitsverhältnis unmittelbar anwendbar sei.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 1. Oktober 1997 die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, die hier anwendbare Tarifnorm sei deklaratorischer und dynamischer, mithin nicht konstitutiver Natur, so daß sich die gesetzliche Neufassung des EFZG ab 1. Oktober 1996 automatisch auf den Inhalt der tariflichen Regelung ausgewirkt habe. Bei der hier auszulegenden Tarifnorm handele es sich um eine Verweisungsnorm und nicht um eine Inhaltsnorm. Die Tarifvertragsparteien hätten hier nicht einmal die gesetzliche Regelung wiederholt, sondern einfach auf die bestehende gesetzliche Regelung verwiesen. Anhaltspunkt für die Annahme, daß sich die Bezugnahme in § 10 Ziff. 5 Abs. 4 MTV auf die gesetzliche Regelung zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses habe b...

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