Entscheidungsstichwort (Thema)

Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten. Weiter Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung. Sachlich rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine tarifliche Regelung, die einen Altersfreizeitanspruch nur für Vollzeitbeschäftigte vorsieht, stellt eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten dar. Denn die Dauer der Arbeitszeit wird als Maßstab für eine ungleiche Behandlung der Arbeitnehmer bei den Arbeitsbedingungen genommen.

2. Die Tarifparteien sind grundsätzlich frei, in Ausübung ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Sie haben dabei einen weiten Gestaltungsspielraum und besitzen die Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die betroffenen Interessen.

3. Regeln die Tarifparteien einen Sachverhalt in ungleicher Weise für die Beschäftigten, z.B. durch Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten hinsichtlich des Altersfreizeitgewährungsanspruchs, ist zu prüfen, ob sie ihren Gestaltungsspielraum überschritten haben. Dies ist nicht der Fall, wenn ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung besteht. Knüpft die "ungleiche" Regelung an die Vollendung des 56.Lebensjahres und die Leistung von Vollzeitarbeit an, bezweckt sie einen Erholungswert für die älteren Mitarbeiter. Das gesteigerte Erholungsbedürfnis der älteren Beschäftigten ist ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung, die aus dem unterschiedlichen Arbeitszeitvolumen folgt.

 

Normenkette

TzBfG § 4 Abs. 1 S. 1-2; GG Art. 9 Abs. 3; MTV BAVC und IG BCE § 2a Fassung: 2013-10-17, § 3a Fassung: 2013-10-17

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 10.10.2017; Aktenzeichen 21 Ca 181/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.07.2019; Aktenzeichen 9 AZR 372/18)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2017 - 21 Ca 181/17 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Gewährung von zwei Stunden Altersfreizeit pro Woche in Anspruch.

Die am XX.XXXXXXX 1959 geborene Klägerin ist Arbeitnehmerin der Beklagten mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden. Sie bezieht ein regelmäßiges Bruttomonatsgehalt von € 3.227,00. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag zwischen dem Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. und der IGBCE vom 24. Juni 1992 (im Folgenden: MTV) Anwendung. Die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 37,5 Stunden. § 2a des MTV in der Fassung vom 17. Oktober 2013 lautet:

"Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, erhalten eine zweieinhalbstündige Altersfreizeit je Woche.

Soweit für Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung nach § 2 I Ziff. 3 oder einer Einzelvereinbarung oder aufgrund von Kurzarbeit eine um bis zu zweieinhalb Stunden kürzere wöchentliche Arbeitszeit als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit gilt, mindert sich die Altersfreizeit entsprechend. Liegt die Arbeitszeit um zweieinhalb Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit, entfällt die Altersfreizeit."

Die Klägerin hat seit Vollendung des 57. Lebensjahres im August 2016 erfolglos Ansprüche gegenüber der Beklagten auf Gewährung von zweieinhalbstündiger Altersfreizeit je Woche geltend gemacht.

Die Klägerin hat vorgetragen, der Ausschluss von Arbeitnehmern von der Altersfreizeit, die zwar die Altersgrenze nach dem Tarifvertrag erreicht haben, jedoch mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden oder weniger beschäftigt seien, verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten. Ein hinreichender Grund, der eine Ungleichbehandlung als zulässig erscheinen lassen könne, bestehe auch vor dem Hintergrund des Gestaltungsspielraumes der abschließenden Tarifvertragsparteien nicht.

Mit ihrer am 30. Mai 2017 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und zuletzt in der Sitzung vom 10. Oktober 2017 (Bl. 51 d.A.) geänderten Klage hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für zwei Stunden je Woche von ihrer Arbeitspflicht freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, die Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt. Gemäß der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien sei das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Mitarbeiter und das geringere Erholungsbedürfnis von Teilzeitkräften im Rahmen einer schlüssigen Gesamtkonzeption in einem verhältnismäßigen, abgestuften und Härtefälle beachtenden Regelungskonzept aufgegangen. Ein Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bestehe mithin nicht.

Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Urteil vom 10. Oktober 2017 der Klage stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne von der Beklagten ...

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