Entscheidungsstichwort (Thema)

Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers durch Verweis auf den "jeweiligen Arbeitsanfall" als maßgeblich für die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Schließung der Vertragslücke durch ergänzende Vertragsauslegung. Formularmäßige Vereinbarung der geschuldeten Arbeitszeit “nach dem jeweiligen Arbeitsanfall„. Rechtsfolgen des Fehlens einer wirksamen Vereinbarung über die Dauer der Arbeitszeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine in einem Formulararbeitsvertrag enthaltene Bestimmung, wonach sich Umfang und Lage der geschuldeten Arbeitszeit "wegen des schwankendem und nicht vorhersehbaren Umfangs der Arbeiten... nach dem jeweiligen Arbeitsanfall" richten, benachteiligt den Arbeitnehmer gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen.

2. Bei Fehlen einer (wirksamen) Vereinbarung zur Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist die Vertragslücke jedenfalls bei fehlender Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. 3. Für die Feststellung des mutmaßlichen Parteiwillens ist die tatsächliche Vertragsdurchführung von erheblicher Bedeutung.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1 S. 1, § 611 Abs. 1, § 611

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 27.10.2011; Aktenzeichen 3 Ca 1585/11)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 27.10.2011 - Az. 3 Ca 1585/11 - abgeändert.

    Es wird festgestellt, dass die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers wöchentlich 40 Stunden beträgt.

    Die Beklagte (zu 2)) wird verurteilt, den Kläger als Versandhilfskraft im Arbeitsumfang von wöchentlich 40 Stunden zu beschäftigen.

  • 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger. Die Kosten des Berufungsrechtszugs trägt der Kläger zu 10 %, die Beklagte (zu 2) zu 90 %.

  • 3.

    Die Revision wird für die Beklagte (zu 2)) zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger einzusetzen ist.

Der 36 Jahre alte Kläger (ledig, ein unterhaltsberechtigtes Kind) war seit dem 01.07.1995 bei der Beklagten zu 1) als Versand-Hilfskraft beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 19.12.1996, wegen dessen weiteren Inhalts auf Blatt 17 f. der Akte verwiesen wird, heißt es unter anderem wie folgt:

"...

Wegen des schwankenden und nicht vorhersehbaren Umfangs dieser Arbeiten richten sich Umfang und Lage Ihrer Arbeitszeit nach dem jeweiligen Arbeitsanfall (§ 4 Abs. 1 Beschäftigungsbeförderungsgesetz). Die Lage der Arbeitszeit werden wir Ihnen anhand eines Einsatzplanes bekanntgeben.

...

Tarifliche Regelungen finden auf das Arbeitsverhältnis für das § 4 des Beschäftigungsförderungsgesetzes gilt, keine Anwendung"

Die Beklagte zu 1) beschäftigte in ihrem Betrieb in F. auf Basis vergleichbarer Verträge etwa 200 Arbeitnehmer, von denen 80-100 werktäglich im Einsatz waren. Der Kläger, der Mitglied des für die F.ner Betriebsstätte gebildeten Betriebsrats ist, bezog zuletzt einen Stundenlohn von 10,75 € brutto.

Der Kläger wurde seit Beginn des Arbeitsverhältnisses ohne regelmäßige Arbeitszeit in wöchentlich schwankendem Umfang eingesetzt. Nach Maßgabe der von ihm für den Zeitraum ab Januar 2008 eingereichten Stundenaufstellungen lag die wöchentliche Arbeitszeit zumeist oberhalb von 40 Stunden. Wegen der Einzelheiten der Aufstellungen wird auf Blatt 244 ff., 330 ff. der Akte Bezug genommen. Der Kläger erhielt monatliche Bruttoeinkünfte inklusive Zuschlägen von zwischen 2.250,00 € und 2.700,00 €. Mit Wirkung zum 01.01.2012 übernahm die Beklagte zu 2) - damals noch firmierend unter X. Preprint Verwaltungs GmbH - den Betrieb der Beklagten zu 1). Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht, nachdem er bereits mit Schreiben vom 18.11.2011 "nach § 613a Abs. 5 BGB" über den Betriebsübergang und seine Folgen unterrichtet worden war.

Der Kläger hat behauptet, ihm sei bereits bei Einstellung mitgeteilt worden, er solle in Vollzeit eingesetzt werden, nicht nur bei Bedarf oder in geringfügigem Umfang. Damit deckten sich die tatsächlich absolvierten - erstinstanzlich nur für die ersten sieben Kalendermonate des Jahres 2011 mitgeteilten - Einsatzzeiten. Ein Abrufarbeitsverhältnis sei weder gewollt gewesen noch seien die vertraglichen Bestimmungen insoweit wirksam. Durch den Arbeitsvertrag der Parteien würde das Wirtschaftsrisiko der Beklagten in unzulässiger Weise auf den Kläger verlagert.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Versandkraft in einem Arbeitsumfang von wöchentlich 40 Stunden zu beschäftigen.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat den Willen zur Begründung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses bestritten; vielmehr sei tatsächlich ein Abrufarbeitsverhältnis gewollt gewesen und auch gelebt worden, wie sich an den zwischen 32 und 50 Wochenstunden schwankenden Einsatzzeiten zeige. Es gebe keine Anspruchsgrundlage für die Festschreibung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Da der Arbeitsvertrag der Parteien aus dem Jahre 1996 stamme, seien di...

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