Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Kfz-Mechanikers wegen geschlechtsbezogener Belästigung bei ehrlicher Betroffenheit des Arbeitnehmers über ein "Augenblicksversagen"

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfallentscheidung zu einer sexuellen Belästigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ob eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und hängt auch von ihrem Umfang und ihrer Stärke ab; eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil der Arbeitgeberin sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

2. Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz des Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen; dabei ist auch der Umstand einer "einmaligen Entgleisung" zu berücksichtigenden.

3. Liegen arbeitsvertragliche Vertragsverletzungen vor, werden sie kündigungsrechtlich bedeutsam, wenn die Arbeitgeberin daraus schlussfolgern kann, dass das Vertragsverhältnis auch in Zukunft gestört wird; bei einer verhaltensbedingten Kündigung gehört daher zur sozialen Rechtfertigung eine negative Prognose, für die die bereits erfolgte Störung der maßgebende Anknüpfungspunkt ist.

4. Die insoweit anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlussfolgert werden muss, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen wird; ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass es auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen wird.

5. Sagt der Arbeitnehmer im betrieblichen Waschraum im Laufe eines Gespräches mit einer ihm unbekannten Reinigungskraft, die sich zunächst vor das Waschbecken und dann neben ihn stellt, dass sie schöne Brüste hat, und berührt er sie dann an einer Brust, handelt es sich um einen einheitlichen Vorgang, der ohne Wenn und Aber schwerwiegend ist; erklärt die Frau, dass sie das nicht wünscht, und lässt der Arbeitnehmer sofort von ihr ab, und räumt er die sexuelle Belästigung bei einem nachfolgenden Personalgespräch sofort ein und erklärt, dass er sich dafür schämt, kann aus diesem Verhalten nach den Umständen des Einzelfalls geschlussfolgert werden, dass der Arbeitnehmer über sein eigenes Verhalten ehrlich erschrocken ist, so dass diese arbeitsvertragliche Pflichtverletzung Besonderheiten aufweist, die im Rahmen einer negativen Zukunftsprognose zu berücksichtigen sind und nicht die Schlussfolgerung zulassen, dass der Arbeitnehmer sich eine scharfe Abmahnung nicht zur Warnung gereichen lässt.

6. Ein vom Arbeitnehmer eingeräumtes "Augenblicksversagen" berechtigt nicht zu der Annahme, dass er "jeden Augenblick" wieder versagen kann sondern rechtfertigt nur die Annahme, dass es sich um einen einmaligen Vorfall unter besonderen Umständen handelte, der nicht geeignet ist, grundsätzliche Zweifel daran zu hegen, dass der Arbeitnehmer sein diesbezügliches Verhalten steuern kann.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 4, § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 13.11.2012; Aktenzeichen 5 Ca 2425/12 -3)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 13.11.2012, 5 Ca 2425/12, abgeändert:

    Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31.07.2012 nicht aufgelöst worden ist.

  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die seitens der Beklagten unter dem Datum vom 31.07.2012 ausgesprochene fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.

Der am 23.01.1978 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.09.1996 als Kfz-Mechaniker zu einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 2.050,00 € brutto beschäftigt.

Mit Schreiben vom 31.07.2012 hat die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt.

Anlass für die Kündigung war ein Vorfall am Freitag, dem 27.07.2012. Nachdem der Kläger an diesem Tag seine Arbeit beendet hatte und sich umziehen wollte, begegnete er in den Sozialräumen der bei einem externen Reinigungsunternehmen angestellten Reinigungskraft M. N., die mit der Reinigung der Sozialräume beschäftigt war. Bei Eintreffen des Klägers lehnte Frau N. in der Tür zwischen Waschraum und ...

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