Entscheidungsstichwort (Thema)

Religionsfreiheit. Neutralitätsgebot. „Kopftuchverbot”. Baskenmütze. Abmahnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW ist Ausdruck des staatlichen Neutralitätsgebots. Das in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW statuierte Bekundungsverbot knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Es will abstrakten Gefahren vorbeugen, um damit sicherzustellen, dass konkrete Gefahren für die Neutralität der Schule unterbunden werden. Trägt eine Sozialpädagogin anstelle des zuvor getragenen islamischen Kopftuchs eine Baskenmütze, die das Haar, den Haaransatz und die Ohren komplett verdeckt, verstößt sie damit gegen das staatliche Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW und kann deswegen abgemahnt werden.

2. § 57 SchG NW ist mit dem Grundgesetz vereinbar und verstößt insbesondere nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG und die in Art. 4 GG beschriebene Religionsfreiheit.

3. § 57 Abs. 4 SchG NW steht auch in Einklang mit Art. 9 EMRK.

4. Das Verbot, dauerhaft eine Baskenmütze zu tragen, stellt keine Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 3 AGG dar; jedenfalls ist eine derartige Benachteiligung gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

 

Normenkette

GG Art. 3-4, 6-7; SchG NRW § 57 Abs. 4; AGG §§ 1, 3, 7-8; EMRK Art. 9

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 29.06.2007; Aktenzeichen 12 Ca 175/07)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 27.01.2015; Aktenzeichen 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10)

BVerfG (Beschluss vom 26.02.2014; Aktenzeichen 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10)

BAG (Urteil vom 20.08.2009; Aktenzeichen 2 AZR 499/08)

 

Tenor

1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.06.2007 – 12 Ca 175/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2) Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Abmahnung.

Die am 14.05.1971 geborene Klägerin ist ausgebildete Sozialpädagogin und seit dem 07.10.1997 bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie wird derzeit mit Aufgaben aus dem sozialbetreuerischen Bereich zur Schlichtung von Schulkonflikten an der E.-Forte-Gesamtschule in E. betraut. Dabei kommt sie mit Schülern unterschiedlicher Nationalitäten und religiöser Zugehörigkeiten in Kontakt. Das Bruttomonatsgehalt der Klägerin beträgt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden 2.800,– EUR.

Seit dem 01.08.2006 finden in Nordrhein-Westfalen neue Regelungen des Schulgesetzes NRW (SchG NRW) Anwendung, die das Verhalten der Lehrer in der Schule betreffen.

§ 57 Abs. 4 SchG NRW lautet:

Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen, weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.

Darüber hinaus findet sich im Schulgesetz NRW noch die nachfolgende Bestimmung:

§ 58

Pädagogisches und sozialpädagogisches Personal

Sonstige im Landesdienst stehende pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken bei der Bildungs- und Erziehungsarbeit mit. § 57 Abs. 4 und 6 gilt entsprechend.

Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung forderte das beklagte Land die Klägerin mit Schreiben vom 09.08.2006 auf, das islamische Kopftuch, das die Klägerin 18 Jahre – auch in der Schule – getragen hatte, abzunehmen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin am 25.09.2006 nach, ersetzte aber das Kopftuch durch eine Baskenmütze mit Strickbund, die ihr Haar, den Haaransatz und die Ohren komplett bedeckt.

In einem Personalgespräch am 07.11.2006 erklärte die Klägerin gegenüber ihrer Schulleiterin, dass sie das Kopftuch in der Vergangenheit stets aus religiösen Gründen getragen hätte. Entsprechende Nachfragen zum Motiv für das Tragen der Baskenmütze blieben in diesem Gespräch unbeantwortet.

Mit Schreiben vom 19.12.2006 erteilte das beklagte Land der Klägerin eine Abmahnung und drohte ihr für den Fall unveränderten Verhaltens eine Kündigung an.

Mit ihrer am 08.01.2007 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage hat die Klägerin die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte begehrt.

Sie hat zunächst die Rechtsauffassung vertreten, dass § 57 Abs. 4 SchG NRW nicht einschlägig wäre, weil ...

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