Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB. Entbehrlichkeit einer Abmahnung bei einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers im Vertrauensbereich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der nach § 626 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ist der Umstand, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Fortzahlung seiner Bezüge von der Arbeit freistellen kann, um ihn nicht bis zum Ablauf der maßgeblichen Kündigungsfrist weiterbeschäftigen zu müssen, ein zu berücksichtigender Aspekt.

2. Auch wenn man bei einer Pflichtverletzung im Vertrauensbereich grundsätzlich von dem Erfordernis einer Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung ausgeht (so jetzt BAG v. 04.06.1997 – 2 AZR 526/96 – EzA § 626 BGB n. F. Nr. 168), ist diese, ebenso wie bei einer entsprechenden Störung im Leistungsbereich (zuletzt BAG v. 24.04.1997 – 2 AZR 268/96 – EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 43), bei einem besonders groben Pflichtenverstoß im Vertrauensbereich entbehrlich, wenn dem Arbeitnehmer sein pflichtwidriges Verhalten ohne weiteres erkennbar ist und er mit der Billigung seines Verhaltens durch den Arbeitgeber nicht rechnen kann.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 20.11.1997; Aktenzeichen 2 Ca 4335/97)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.03.1999; Aktenzeichen 2 AZR 507/98)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 20.11.1997 – 2 Ca 4335/97 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefaßt.

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.06.1997 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der am 15.02.1951 geborene Kläger absolvierte ab August 1967 bei der Beklagten eine Lehre und ist seitdem ohne Unterbrechung bei ihr tätig. Im Laufe seines Arbeitsverhältnisses wurde ihm Gesamtprokura erteilt. Zuletzt hatte der Kläger bei einem durchschnittlichen monatlichen Gehalt von DM 10.900,– die Stellung eines Abteilungsdirektors im Bereich Kundengeldhandel – heute Treasury/Short-Term-Deskinne. Er steht damit auf der vierten Führungsebene.

Gegen Ende des Jahres 1995 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien, innerhalb derer die Beklagte den Kläger unter dem 12.12.1995 aus verhaltensbedingten Gründen, u.a. wegen eines angeblich inadäquaten Verhaltens gegenüber Kunden und Mitarbeitern sowie wegen Mängeln bei den täglichen Arbeitsabläufen, abmahnte. Gegen diese Abmahnung wendete sich der Kläger mit einer Gegendarstellung vom 15.12.1995, in der er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritt.

Spätestens im Frühjahr 1997 kam es auf Initiative der Beklagten zwischen den Parteien zu Überlegungen, den Arbeitsbereich des Klägers bei Reduzierung der Vergütung zu ändern, wobei die Ursachen für die angestrebten Änderungen im einzelnen streitig sind. Unstreitig kam es am 03.04.1997 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und seiner Vorgesetzten, G. v. S. Gegenstand dieses Gesprächs waren jedenfalls auch etwa zu verändernde finanzielle Konditionen des Arbeitsvertrages des Klägers sowie die Rückzahlung eines ihm – dem Kläger – von der Beklagten gewährten Darlehens. Diesbezüglich bestanden Überlegungen, die Tilgung des Darlehens in eine mögliche Neugestaltung des Arbeitsentgelts des Klägers miteinzubeziehen.

Am 15.05.1997 erörterten der Kläger und der Personalleiter der Beklagten, Herr Dr. P., eine Änderung des Tätigkeitsbereichs des Klägers in Richtung eines streßfreieren Arbeitsplatzes. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist teilweise streitig, so insbesondere die Frage, ob dem Kläger von der Beklagten mit einer späteren Beendigungskündigung gedroht wurde. Von der Beklagten erhielt der Kläger den Entwurf eines unter dem Tag des genannten Gesprächs verfaßten Schreibens. Dieses sah vor, daß er ab Juni 1997 als Sachbearbeiter im Fachbereich Treasury and Derivatives Clearing zu einem Jahresgehalt von DM 96.000,– tätig werden sollte. Auf das rückzuzahlende Darlehen wurde in diesem Schreiben kein ausdrücklicher Bezug genommen.

Am 20.05.1997 beriet sich der Kläger mit den Rechtsanwälten Dr. … und R. über die ihm angesonnenen Änderungen seines Arbeitsvertrages. Daraufhin fand am 23.05.1997 ein erneutes Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn Dr. P. statt, in dessen Verlauf er zunächst das schriftlich fixierte Ergebnis seiner Beratung mit den genannten Anwälten verlas. Die weiteren, im Anschluß daran vom Kläger gemachten Äußerungen sind zwischen den Parteien streitig, so insbesondere die Frage, ob ein Verhalten des Klägers vorlag, das den Tatbestand einer versuchten Nötigung erfüllte. Jedenfalls war die Rede...

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