Entscheidungsstichwort (Thema)

außerordentliche Kündigung. betriebsbedingte Kündigung. Darlegungslast. Zwischenzeugnis

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung darzustellen, weil der Arbeitnehmer die durch den Arbeitsvertrag begründete Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers hierdurch verletzt. Diese Verpflichtung beinhaltet das Verbot, den Arbeitgeber rechtswidrig und vorsätzlich durch eine Straftat zu schädigen. Unabhängig von dem Wert des Schadens bricht der Arbeitnehmer durch die Eigentumsverletzung in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers.

2. Läuft die unternehmerische Entscheidung letztlich nur auf den Abbau einer Hierarchieebene hinaus verbunden mit einer Neuverteilung der dem betroffenen Arbeitnehmer bisher zugewiesenen Aufgaben, bedarf es der Konkretisierung dieser Entscheidung, damit geprüft werden kann, ob der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers tatsächlich weggefallen ist und die Entscheidung nicht offensichtlich unsachlich oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber muss insbesondere konkret darlegen, in welchem Umfang die bisher von dem Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen. Er muss aufgrund seiner unternehmerischen Vorgaben die zukünftige Entwicklung der Arbeitsmenge anhand einer näher konkretisierten Prognose darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können.

3. Zwar begründet § 109 GewO keinen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Jedoch ist der Arbeitgeber hierzu aus allgemeiner vertraglichen Nebenpflicht (vgl. § 241 BGB) in Anlehnung an § 61 Abs. 2 BAT/§ 35 Abs. 2 TVöD verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer einen triftigen Grund hierfür geltend machen kann. Ein derartiger triftiger Grund besteht in dem Umstand, dass die Parteien über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im vorliegenden Kündigungsschutzprozess streiten und der Arbeitnehmer in zweiter Instanz ein obsiegendes Urteil in diesem Prozess erlangt hat.

4. Die bloße Weigerung von Arbeitskollegen, mit einem Arbeitnehmer zusammenzuarbeiten kann die Auflösung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG §§ 1, 9; GewO § 109

 

Verfahrensgang

ArbG Wesel (Urteil vom 15.01.2009; Aktenzeichen 5 Ca 1981/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 16.12.2010; Aktenzeichen 2 AZR 770/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 15.01.2009 – 5 Ca 1981/08 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.08.2008 zum 18.08.2008 aufgelöst worden ist.

Es wird weiter festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 zum 30.09.2008 aufgelöst worden ist.

Es wird schließlich festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.08.2008 zum 31.12.2008 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Hauswirtschaftsleiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte wird außerdem verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.

Der Auflösungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird für die Beklagte im Hinblick auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch ihre ordentliche Kündigung vom 23.06.2008 zum 30.09.2008 aufgelöst worden ist, zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der 53-jährige, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.09.2006 aufgrund eines am 25.08.2006 geschlossenen Arbeitsvertrages als Hauswirtschaftsleiter zu einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 4.486,– EUR tätig. Gemäß § 10 Nr. 1 dieses Vertrages beträgt nach Ablauf des in seinem § 1 Nr. 2 Satz 1 vereinbarten sechsmonatigen Probearbeitsverhältnisses die Kündigungsfrist für beide Parteien drei Monate zum Quartalsende. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG.

Im Rahmen seiner Tätigkeit war der Kläger für die Seniorenstifte der Beklagten in I., E.-I., E.-C. straße, E.-L.-M.-Straße, E.-G. straße und E.-I. straße zuständig. Diese Seniorenstifte werden von den insgesamt drei Produktionsstätten der Beklagten in I., E. und E. beliefert.

Mit Schreiben vom 23.06.2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen fristgemäß zum 30...

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