Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20.01.2009, Rs. C 350/06 Schultz-Hoff, auf den Ausgangsfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. In richtlinienkonformer Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes hat – entsprechend dem Urteil des EuGH vom 20.01.2009 (Rs. C-350-06) über die Auslegung von Art. 7 der EGRL 2003/88 – für den gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub von jährlich vier Wochen zu gelten,

  1. dass der Urlaub nicht nur für Zeiten erworben wird, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hat, sondern auch für Zeiten, in denen er ordnungsgemäß krankgeschrieben war,
  2. dass der Urlaubsanspruch nicht zum Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraumes verfällt, vielmehr der insbesondere aufgrund Erkrankung dem Arbeitnehmer nicht erteilte Urlaub zu späterer Zeit nachzugewähren ist,
  3. dass der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Abgeltung des noch offenen Urlaubs auch dann hat, wenn er dauerhaft arbeitsunfähig krank ist.

2. Soweit die Kammer in Anlehnung an die frühere BAG-Rechtsprechung bisher die Auffassung vertreten hat, dass der Erwerb von Urlaubsansprüchen im Urlaubsjahr erbrachte Arbeitsleistungen voraussetze, ist hieran aufgrund des Urteils des EuGH nicht festzuhalten.

3. Nachdem der EuGH die Wirkung seiner Entscheidung nicht eingeschränkt hat und diese das vorlegende Gericht bindet, kann jedenfalls im Streitfall dem Arbeitgeber kein Vertrauensschutz auf Anwendung der bisherigen Urlaubsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugebilligt werden.

4. Für den tariflichen oder vertraglichen „Mehrurlaub” können – abhängig von hierfür aufgestellten Sonderregelungen – andere Bedingungen gelten. Es kann daher auch der Verfall des Mehrurlaubsanspruchs bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, vorgesehen werden.

 

Normenkette

EGRL 2003/88 § Art. 7; ILO-Convention 132 § Art. 5; ILO-Convention 132 § Art. 9; BUrlG §§ 1, 7; MTAng-BfA § 47 f.

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 07.03.2006; Aktenzeichen 3 Ca 7906/05)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.03.2010; Aktenzeichen 9 AZR 128/09)

 

Tenor

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 07.03.2006 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger ¼ 12.081,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2005 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/7 und die Beklagte zu 6/7.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

A. Die Parteien streiten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses darüber, ob die Beklagte dem Kläger Urlaubsabgeltung für die Jahre 2004 und 2005 schuldet.

Der Kläger war seit dem 01.04.1971 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Mantel-tarifvertrag für die Angestellten der BfA (MTAng-BfA) Anwendung. Der Kläger bezog zuletzt Vergütung nach Vergütungsgruppe II. Seit 1985 war er in der Zweigniederlassung E. als Außendienstmitarbeiter tätig. Zu seiner Arbeitsaufgabe gehörte die Vornahme von Betriebsprüfungen und Prüfungen der Einzugsstellen; hierzu war er auf einen Pkw angewiesen.

Der Kläger, als Schwerbehinderter (GdB 60 „G”) anerkannt, musste sich wegen eines schweren Bandscheibenleidens seit dem Jahr 1995 insgesamt 16 Operationen unterziehen. Es lösten sich Zeiten von Arbeitsfähigkeit und solche krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ab. Im Jahr 2004 war der Kläger bis Anfang September arbeitsfähig. Ab dem 08.09.2004 wurde er – dann fortlaufend bis zum 30.09.2005 – arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die ständige Einnahme von morphinhaltigen Schmerzmitteln hindert ihn seither daran, ein Kraftfahrzeug zu führen.

Im Mai 2005 beantragte der Kläger, ihm ab dem 01.06.2005 den Urlaub 2004 zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass zuvor der Personalärztliche Dienst gemäß § 7 Abs. 2 MTAng-BfA die Dienstfähigkeit feststellen müsse.

Mit im September 2005 zugegangenem Bescheid stellte die Beklagte als Rentenversicherungsträger fest, dass der Kläger erwerbsgemindert sei und bewilligte ihm rückwirkend ab 01.03.2005 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Aufgrund dieser Feststellung fand das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 59 MTAng-BfA zum 30.09.2005 sein Ende.

Im November 2005 hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf Klage auf Abgeltung des noch offenen Urlaubs für die Jahre 2004 und 2005 erhoben.

Durch Urteil vom 07.03.2006, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift der Kläger das Urteil an. Er trägt vor, dass er sich in dem ab 01.06.2005 beantragten Urlaub für die spätere Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme habe erholen wollen. Die festgestellte Erwerbsminderung stünde der Ausübung einer leichten Bürotätigkeit in Teilzeit nicht entgegen. Der Kläger beziffert unter Zugrundelegung von 3...

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