Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame ordentliche Verdachtskündigung eines Niederlassungsleiters wegen Untreue zum Nachteil der Arbeitgeberin bei unzureichender Widerlegung der entlastenden Einlassung des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und die Arbeitgeberin alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen und insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

2. An die Darlegung und Eignung schwerwiegender Verdachtsmomente sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass Unschuldige betroffen sind; der notwendige schwerwiegende Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben oder objektiv durch Tatsachen begründet sein und dringend sein, so dass bei einer kritischen Prüfung eine auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers besteht.

3. Begründen Umstände einen dringenden Tatverdacht, die nach allgemeiner Lebenserfahrung ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sind, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag, kommt eine Verdachtskündigung nicht in Betracht; der Umstand, dass dem Arbeitnehmer nicht außerordentlich sondern ordentlich gekündigt wurde, führt nicht dazu, dass die Maßstäbe, die an die Dringlichkeit des Tatverdachtes zu stellen sind, reduziert werden.

4. Wirft die Arbeitgeberin ihrem Niederlassungsleiter vor, dass er zu ihrem Nachteil ungeeignete Ware bestellt hat, die ganz oder zum Teil nicht geliefert wurde, gleichwohl aber auf Veranlassung des Arbeitnehmers bezahlt wurde, und sind bestimmte Vorkommnisse durchaus geeignet, Misstrauen daran wecken, dass der Arbeitnehmer sich im Rahmen seiner arbeitsvertraglichen Pflichten bewegt hat, und einen Anfangsverdacht einer Untreue zulasten der Arbeitgeberin gemäß § 266 StGB begründen, ist eine ordentliche Kündigung unbegründet, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers auch auf andere Weise erklärt werden kann und die Einlassungen des Arbeitnehmers, die auf fahrlässige Schlechtleistung hindeuten, durch die Arbeitgeberin nicht widerlegt werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2; StGB § 266

 

Verfahrensgang

ArbG Bremen-Bremerhaven (Entscheidung vom 19.01.2012; Aktenzeichen 7 Ca 7039/11)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 18.06.2015; Aktenzeichen 2 AZR 256/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 19.01.2012 - 7 Ca 7039/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Für die Beklagte wird die Revision in Bezug auf Ziff. 1 und 2 des Urteils des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen, fristgemäßen Kündigung, sowie um seine Weiterbeschäftigung als Leiter des Verkaufsbüros Bremen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Zudem verlangt der Kläger die Zahlung von einbehaltenen Entgeltbestandteilen. Dem Kläger wird vorgehalten, im Jahre 2003 ein Geschäft abgeschlossen zu haben, das den Tatbestand der Untreue erfüllen, bzw. einen dringenden Tatverdacht begründen würde und an Kartellabsprachen beteiligt gewesen zu sein.

Die Beklagte vertreibt Schienen und weiteres, für den Gleisbau benötigtes Material für den Schienenoberbau. Sie wird unter anderem für die D. AG und andere Gesellschaften tätig. Sie beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer; bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Sie bezieht die von ihr für die jeweiligen Kundenaufträge benötigten Schienen von Dritten wie der T. GmbH & Co. KG (vormals firmierend als Th. GmbH und Co. KG). Die T. gehört zum Voestalpine-Konzern, der seinen Sitz in Linz hat und auf die Fertigung und Verarbeitung von Stahlprodukten spezialisiert ist. Die T. betreibt ein Schienenwerk in Duisburg. Sie verfügt über keinen eigenen Betrieb für ihre Schienen für den deutschen Markt. Dieser wird vielmehr von der Beklagten versorgt. Ein zentraler Wettbewerber der Beklagten ist die Firma Vo. GmbH. Letztere vertreibt in Deutschland Schienen, die sie von der Vo. GmbH bezieht. Die Vo. GmbH betreibt ein Schienenwerk in Leoben/Österreich.

Die T. und die Beklagte schlossen im Jahr 2001 einen Vertriebsvertrag, der die Belieferung der Beklagten mit Schienen von der T. regelt. Über diesen Vertriebsvertrag hinaus existierte jedoch zwischen Angestellten der Beklagten und Vertretern der T., der V. und der Vo. ein Absprachesystem betreffend den Vertrieb von Schienen an Nahverkehrskunden, Regionalbahnen, Industriebahnen und Bauunternehmen, die entsprechende Produkte angefragt bzw. eine diesbezügliche Ausschreibung gemacht haben.

Bestandteil des Absprachesystems war, dass die T. ihren Vertrieb entgegen dem Wortlaut des Vertriebsvertrages exklusiv über di...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge