Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Facility-Management. Auftragsnachfolge. Organisationsänderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unterhält ein Unternehmen seit elf Jahren einen einzigen Betrieb mit zuletzt 19 Arbeitnehmern, dessen Zweck nur darin besteht, in einem räumlich abgrenzbaren Bereich eines Universitätskrankenhauses technische Dienstleistungen (technische Betriebsleitung, Wartung und Instandhaltung) zu erbringen, dann stellt das für den Bestand des Betriebes wesentliche Betriebsmittel der Auftrag des Krankenhauses zur Erbringung dieser technischen Dienstleistungen dar. Der ganze Betrieb ist zugeschnitten nur auf diesen einen Auftrag und Kunden.

2. Überträgt das Krankenhaus diesen – und weitere – Aufträge auf ein Unternehmen, das nur dazu gegründet wurde, den nunmehr ausschließlich einheitlich für sämtliche Standorte des Krankenhauses vergebenen Facility-Management-Auftrag zu erhalten, dann liegt allein darin ein Betriebsübergang begründet.

3.Es ist methodisch verfehlt, in einem betriebsmittelarmen Betrieb die Betriebsübernahme allein daran scheitern zu lassen, dass der Betriebsübernehmer nicht bereit ist, den wesentlichen Teil der ursprünglichen Arbeitnehmerschaft zu übernehmen. Dies widerspräche der Zielsetzung der Richtlinie 2001/23/EG. Hauptzweck der Betriebsübergangsrichtlinie ist es, auch gegen den Willen des Erwerbers die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des Veräußerers aufrechtzuerhalten (EuGH, Urt. vom 20.11.2003 – Rs. C-340/01 – Abler – NZA 2003, 1385).

4. Ein Betriebsübergang kann nicht deswegen verneint werden, weil der Aufbau und die Organisation des Unternehmens nicht – und zwar nicht einmal teilweise – beibehalten worden ist (EuGH vom 7. 3. 1996 – NZA 96, 413, Rn 20 f – Mercks; a.A. BAG vom 6.4.2006 – NZA 2006, 1039).

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 16.05.2006; Aktenzeichen 8 Ca 1249/06)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.08.2007; Aktenzeichen 8 AZR 1043/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.05.2006 – 8 Ca 1249/06 – abgeändert:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 30.12.2005 nicht beendet worden ist.
  2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers seit dem 01.04.2006 mit der Beklagten zu 2) fortbesteht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten zu 1) und 2) je zur Hälfte.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 30. Dezember 2005 wegen einer beabsichtigten Betriebsstilllegung wirksam ist und ob das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) übergegangen ist.

Der Kläger war seit dem 15. September 1995 aufgrund des Arbeitsvertrages vom 6. März 1997 (Bl. 8 ff. d. A.) bei der Beklagten zu 1) beschäftigt. Den arbeitsvertraglichen Aufgaben des Klägers lag zuletzt eine Stellenbeschreibung vom 19.12.2001 (Bl. 259 ff d. A.) zu Grunde. Das Bruttomonatsentgelt betrug 2.200,00 EUR. Die Beklagte zu 1) erbrachte ausschließlich für das Universitätsklinikum C. technische Dienstleistungen auf dem Ca. V. Klinikum. Diese werden von den Parteien wie folgt beschrieben:

Erbringung von technischer Betriebsleitung und Management technischer Anlagen und Systembetrieb und Instandhaltung sowie gebäudetechnischer Servicedienst für die betriebs- und versorgungstechnischen Anlagen/Systeme für die Gebäude der Ring- und der Nordbebauung.

Hierzu nutzte die Beklagte zu 1) vom Klinikum Büroräume, Aufenthaltsräume, Räume für Lager und Werkstatt. Das Klinikum stellte ferner eine Software für Reparaturaufträge zur Verfügung. Es übernahm auch die Kosten für Wasser und Elektrizität. Bis zu einer nicht näher bezifferten Obergrenze durfte die Beklagte zu 1) Aufträge an Subunternehmer vergeben. Die technischen Anlagen, die von der Beklagten zu 1) betreut wurden, wie zum Beispiel Klima-, Heizungs- und Elektroanlagen, standen durchgängig im Eigentum des Klinikums. Bis zum 31. April 2004 beschäftigte die Beklagte zu 1) 21 Arbeitnehmer und zum Kündigungszeitpunkt 19 Arbeitnehmer. Sonstige Facility-Leistungen wurden teilweise durch das Klinikum selbst auch an anderen Standorten und/oder mit anderen Leistungen erbracht. Teilweise waren sie über längere Zeit an Drittfirmen vergeben.

Im Sommer 2005 kündigte das Klinikum an, den Dienstleistungsauftrag künftig nicht mehr an die Beklagte zu 1) zu vergeben. Für diesen Fall beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten zu 1) am 19. Dezember 2005, den Betrieb stillzulegen. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 kündigte das Klinikum den Dienstleistungsauftrag zum 31. März 2006. Hierauf kündigte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 30. Dezember 2005 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30. April 2006.

Hintergrund hierfür war, dass das Klinikum für sämtliche lokalen Standorte und alle Aufgaben des Facility-Managements nur noch einen Auftrag vergeben wollte. Hierfür wurde die Beklagte zu 2) gegründet, an der das Klinik...

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