Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Werkvertrag/Dienstvertrag/Arbeitnehmerüberlassung. Scheinwerkvertrag. Differenzlohnklage einer Leiharbeitnehmerin bei Beschäftigung im Rahmen eines Scheinwerkvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem Bedarf des Auftraggebers, so spricht dies ganz erheblich gegen das Vorliegen eines Werk- oder Dienstvertrages und für eine Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb des Auftraggebers.

2. Insofern fehlt es an einer abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werkes. Dies deutet auf Arbeitnehmerüberlassung hin, wenn der Auftraggeber durch seine Anweisungen den Gegenstand der von dem Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz bindend organisiert. Gleiches gilt für die Abgrenzung zu einem Dienstvertrag.

3. Gegen die Einordnung als Arbeitnehmerüberlassung spricht nicht entscheidend, dass in einem Leistungsverzeichnis zum Werkvertrag die Vergütung der Arbeiten der Fleisch- und Wurstproduktion nach kg oder Stück berechnet wird.

 

Normenkette

AÜG § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; BGB §§ 631, 611; AÜG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BGB § 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 29.02.2012; Aktenzeichen 2 Ca 1334/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 29.02.2012 - 2 Ca 1334/11 - abgeändert:

Das Versäumnisurteil des Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel vom 08.03.2012 - 2 Ca 1334/11 - wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 19039,66 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.01.2012 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits der 1. Instanz hat die Klägerin zu 10 Prozent und die Beklagte zu 90 Prozent zu tragen.

2. Die Berufungskosten hat die Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche aus einem vermeintlichen Leiharbeitsverhältnis für die Zeit von Januar 2008 bis August 2011.

Die Klägerin war auf Basis eines undatierten Arbeitsvertrages in der Zeit vom 22.04.2004 bis 31.08.2011 bei der Beklagten als Verpackerin gegen einen Stundenlohn von ursprünglich 7,-- € beschäftigt (Kopie Bl. 10 ff. d. A.). Mit Änderungsvertrag vom 01.09.2005 wurde der Stundenlohn auf 6,30 € abgesenkt.

Die Klägerin verrichtete durchgängig ihre Arbeit nicht in einem Betrieb der Beklagten, sondern in den Räumen der B. GmbH & Co. KG (künftig: B-GmbH) in P.. Die Beklagte hatte im Juli 2006 mit der Rechtsvorgängerin der B-GmbH einen Werkvertrag geschlossen (Kopie Bl. 28 ff. d. A.). Dieser lautete auszugsweise:

§ 1

Vertragsgegenstand

Der Auftragnehmer führt als Spezialunternehmer für den Auftraggeber ab dem 01.09.2006 fachgerechte Arbeiten der Fleisch- und Wurstproduktion mit den dazu notwendigen Verpackungs- und Nebentätigkeiten durch. Die zu erbringenden Leistungen richten sich nach Bedarf des Auftraggebers und sind in einem Leistungsverzeichnis (Anlage) aufgeführt.

§ 3

Durchführung

Der Auftragnehmer führt die vereinbarten Arbeiten in den Räumen des Auftraggebers durch. Dem Auftragnehmer sind die üblichen Öffnungs- und Arbeitszeiten des Auftraggebers bekannt. Er ist verpflichtet, bei der Durchführung des Gewerkes hierauf Rücksicht zu nehmen.

Dem Auftraggeber steht hinsichtlich der Erfüllungsgehilfen des Auftragnehmers kein Weisungsrecht zu. Der Auftragnehmer wird jedoch dafür Sorge tragen, dass sich seine Erfüllungsgehilfen an die Betriebsordnung des Auftraggebers halten.

...

§ 4

Vergütung

Die Vergütung des Auftragnehmers richtet sich nach der Anlage 1 und ist bezogen auf Kilogramm und Stück. Die jeweiligen Angaben verstehen sich zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer.

...

§ 5

Gewährleistung

Der Auftragnehmer haftet für sich und seine Erfüllungsgehilfen nach den gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere aber für Bruch. In diesem Falle hat der Auftraggeber, ohne dass es einer besonderen Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung bedarf, auf Aufforderung dem Auftraggeber unverzüglich und kostenlos die Nachbesserung durch Nacherfüllung durchzuführen. Ist die Nachbesserung nicht möglich oder bleibt sie erfolglos, so mindert sich, unbeschadet von darüber hinausgehenden Schadensersatzansprüchen, die dem Auftragnehmer zustehende Vergütung entsprechend.

Die Beklagte und die B-GmbH hatten sich für die Jahre 2007, 2008 und 2010 ferner auf Leistungsverzeichnisse geeinigt, wonach die zu erbringenden Tätigkeiten in kg oder Stück abzurechnen waren (Kopien Bl. 152 - 177 d. A.).

Die B-GmbH zahlte nach Auskunft vom 19.12.2011 (Kopie Bl. 46 d. A.) an ihre Arbeitnehmer bis zum 30.09.2008 einen Stundenlohn von 9,05 € und für die Zeit danach in Höhe von 9,21 € brutto nebst Zuschlägen und Jahressonderzahlung.

Jeweils in der Vorwoche - nach Behauptung des Klägers täglich - teilten der Produktions- und/oder Betriebsleiter der B-GmbH dem Vorarbeiter der Beklagten, Herrn L., mit, welche Aufträge zu bearbeiten waren. Herr...

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