Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug bei Erforderlichkeit einer leidensgerechten Arbeit. Unwirksame Umsetzung einer Altenpflegerin bei fehlender Berücksichtigung erkennbarer gesundheitlicher Belange der Arbeitnehmerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Annahmeverzug im Fall der Notwendigkeit einer leidensgerechten Arbeit setzt die Wirksamkeit der Ausübung des Direktionsrechts voraus. Der Arbeitgeber muss die Arbeit zuvor gemäß § 106 Satz 1 GewO wirksam näher bestimmt haben und dies in rechtlich einwandfreier Art und Weise.

2. Gemäß § 106 Satz 1 GewO und § 315 BGB muss eine Weisung "billigem Ermessen" entsprechen und damit eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit enthalten. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen, wozu die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse (wie etwa familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen) gehören.

3. Ist es dem Arbeitgeber möglich und zumutbar, der krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmerin leidensgerechte Arbeiten zuzuweisen, ist die Zuweisung anderer und nicht leidensgerechter Arbeiten unbillig.

4. Hat der Arbeitgeber die ihm erkennbaren gesundheitlichen Belange der Arbeitnehmerin nicht berücksichtigt, ohne dass erhebliche eigene Interessen dem entgegenstehen, ist eine Umsetzung der Arbeitnehmerin unwirksam.

 

Normenkette

BGB §§ 294, 297, 315; GewO § 106; BGB § 611a Abs. 1, § 615 S. 1; GewO § 106 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Neuruppin (Entscheidung vom 07.05.2015; Aktenzeichen 4 Ca 1363/14)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 07.05.2015 - 4 Ca 1363/14 - abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.221,68 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.12.2014 zu zahlen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Vergütungsanspruch der Klägerin für die Monate Februar bis Mai 2014 - in denen die Klägerin nicht gearbeitet hat - unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges bzw. Schadensersatzes.

Der Beklagte stellte die am ....1966 geborene Klägerin mit Arbeitsvertrag vom 05.12.2002 (Bl. 56 d.A.) für die Zeit ab dem 01.01.2003 als "Altenpflegerin in der stationären Pflege" ein. Nach § 2 Arbeitsvertrag ist vereinbart: "Der Arbeitgeber ist berechtigt, wenn das Geschäftsinteresse es erfordert, dem Angestellten eine andere, angemessene Tätigkeit - auch an einem anderen Ort - zuzuweisen."

Die Klägerin wurde zunächst als Altenpflegerin in der stationären Pflege im Altenpflegeheim L. beschäftigt. Sie erkrankte von 2007 bis 2008. Die Klägerin ließ dem Beklagten einen ärztlichen Kurzbericht vom 27.12.2007 (Anlage K6, Bl. 57 d.A.) zukommen, wonach sie die "alte Tätigkeit nicht weiter ausführen" könne. Mit Schreiben vom 04.01.2008 (Bl. 112 d.A.) bat die Klägerin um eine Umsetzung in einen teilstationären Bereich, z.B. Tagespflege. In der Zeit vom 06.12.2007 bis zum 03.01.2008 nahm die Klägerin an einer Rehamaßnahme teil. Im ärztlichen Rehaentlassungsbericht vom 18.01.2008 (Anlage K 7, Bl. 58 d.A.) wird u.a. festgestellt: "Sie [die Klägerin] ist als Altenpflegerin tätig und kann dies nicht weiter ausführen."

In der "2. Änderung zum Arbeitsvertrag vom 28.03.2008" (Anlage Bl. 194 d.A.) wurde vereinbart: "Frau D. wird bis zur Genesung von Frau S. O. als Pflegefachkraft in der ambulanten Pflege Team Wittenberge umgesetzt. Nach Wiedereintritt von Frau S. O. endet die Umsetzung und Frau D. tritt ihre Tätigkeit im Pflegeheim wieder an." Im Team Wittenberge war die Klägerin für die ambulante Pflege und dabei auch für die Pflege der Patienten des Beklagten im Rahmen eines "betreuten Wohnens" in der größeren Seniorenwohnanlage "H." tätig. Gemäß den Anlagen K9, K11 betreute die Klägerin am 20.06.12 (im Rahmen der "Tour: D Wittenberge PFK") 58 Bewohner und am 05.07.12 (im Rahmen der "Tour: SP PFK Wittenberge") 60 Bewohner. In diesen 118 Fällen "beschränkte" sich die Arbeit der Klägerin auf "Medikamente verabreichen", "Kompressionsverband anlegen", "Injektion, Insulin", "BZ-Kontrolle" und "Augen, Gabe v. Salbe u. Tropfen". Ob in einem Fall am 20.06.12 eine "Erw. Hilfe bei Ausscheidungen, Lagern und Mobilisieren" vorgenommen wurde, ist der Liste nicht genau zu entnehmen (Bl. 63 d.A.). Davon abweichend war die Klägerin am Sonntag, den 24.06.12, als Ersatz für eine eingeplante Kollegin in einer dreistündigen "Tour: KD Wittenberge" tätig, betreute dabei 12 Menschen, davon 7 in der Seniorenwohnanlage H. 60 und nahm 4 mal eine "Kleine Körperpflege" sowie weitere Tätigkeiten aus dem Bereich der Grundpflege vor (...

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