Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Betriebsübergang. Funktionsnachfolge bei Callcenter. im Konzern

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Betriebsstilllegung und Betriebsveräußerung schließen sich aus, soweit mit der Veräußerung lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet und die betriebliche Identität i.S.v. § 613a BGB erhalten bleibt. Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt.

2. In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, ist ein Betriebsübergang anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer (sog. Funktionsnachfolge) stellt keinen Betriebsübergang dar.

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Urteil vom 25.04.2007; Aktenzeichen 30 Ca 19158/06)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.06.2009; Aktenzeichen 8 AZR 258/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.04.2007 – 30 Ca 19158/06 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten zu 1) erklärten und auf Betriebsstilllegung gestützten Kündigung, über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) aufgrund Betriebsüberganges und über die Verpflichtung der Beklagten zu 2.) zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Beide Beklagten sind 100 %-ige Töchter des K.-Q.-Konzerns. Die Beklagte zu 1.) betrieb ein Call-Center. Sie erbrachte für die Konzernunternehmen Dienstleistungen im Bereich Customer Care, unter anderem telefonische Auftragsannahme, telefonische Kundenberatung und Service-Beschwerde-Management. Die zum Zeitpunkt der Kündigung 45 Jahre alte Klägerin war dort seit dem 5. Juli 1993, zuletzt als Supervisor-Assistentin/Trainerassistentin, mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden beschäftigt.

Die Beratungsleistungen wurden bei der Beklagten zu 1.) unterteilt in sog. „First-Level”- und sog. „Second-Level”-Beratungen. Bei der Beklagten zu 1.) wurden jedenfalls ganz überwiegend Beratungen im „First-Level” durchgeführt, das heißt Bestellannahme und Beratungsleistungen auf einfacherem Niveau. Bei weitergehendem Beratungsbedarf auf dem sog. „Second-Level”, welches weitergehende Produktkenntnisse und Entscheidungsbefugnisse erforderte, erfolgte eine Vermittlung und Weiterleitung an die für die „Second-Level”-Beratung zuständigen Mitarbeiter von anderen Konzerntöchtern mit Sitz in N. und L.. Der Betrieb der Beklagten zu 1.) war auf einer Fläche von 1.869 qm untergebracht und verfügte über 213 Arbeitsstationen. Am 31. März 2006 waren dort 484 Arbeitnehmer/innen und am 31. März 2007 noch 88 Mitarbeiter beschäftigt. Das Aufgabengebiet der Klägerin bestand überwiegend in der Schulung der Telefonberater für das „First Level”).

Am 30. Juni 2006 beschloss die Beklagte zu 1.) im Hinblick auf die geplante Gründung der Beklagten zu 2.) die Stilllegung ihres Betriebes zum 31. März 2007. Sie vereinbarte am 26. Juli 2006 mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und die Eckpunkte für einen Sozialplan, kündigte in der Folgezeit ihre laufenden Vertragsverhältnisse wie beispielsweise den Mietvertrag über die Gewerberäume, den Call-Center-Vertrag mit der Fa. S. und ihre Bankkonten und meldete das Gewerbe zum 31. März 2007 ab. Betriebsmittel wurden veräußert oder entsorgt, so auch die bislang genutzte Telefonanlage. Am 30. August 2006 wurde die Beklagte zu 2.) gegründet. Betriebszweck der Beklagten zu 2.) ist unter anderem die Fortführung der bislang von der Beklagten zu 1.) erbrachten Dienstleistungen. Daneben werden bei der Beklagten zu 2.) nunmehr auch die sog. „Second-Level”-Beratungen durchgeführt. Die Beklagte zu 2.) erbringt ihre betrieblichen Leistungen auf einer Fläche von 5.600 qm mit 549 Arbeitsstationen.

In der Zeit von September bis November 2006 stellte die Beklagte zu 1.) ca. 200 Mitarbeiter neu ein und ließ diese für eine Tätigkeit bei der Beklagten zu 2.) schulen. Trainer der Beklagten zu 1.) wurden im September 2006 zur Konzerntochter nach N. entsandt, um dort Schulungen im „Second Level” zu absolvieren. Bei der Beklagten zu 1.) waren bei Betriebsaufnahme der Beklagten zu 2.) 256 Mitarbeiter unbefristet und ca. 172 Mitarbeiter befristet beschäftigt. Die befristeten Arbeitsverhältnisse endeten bis auf eines spätestens zum 31. März 2007. Die Beklagte zu 2.) bot den unbefristet beschäftigten Mitarbeiter/innen der Beklagten zu 1.) den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages zu geringerer Vergütung bei erhöhter Arbeitszeit s...

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