Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten bei privatem Arbeitgeber im Rahmen der Stufenzuordnung des öffentlichen Tarifrechts unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Regelungen zur Freizügigkeit der Beschäftigten. Unbegründete Feststellungsklage einer Erzieherin bei fehlendem Auslandsbezug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anwendungsbereich der Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ist nur auf Sachverhalte mit Auslandsbezug eröffnet (vgl.. EuGH vom 01.04.2008 -C-212/06 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 3; vom 26.01.1999 - C-18/95 [Terhoeve] - Slg. 1999, I-345-397, Ziff. 27; vom 28.01.1992 - C-332/90 [Steen] - Slg. 1992, I-341 - 358, Rz. 12).

2. Ein Arbeitnehmer, der niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt hat, kann sich daher nicht darauf berufen, die Differenzierung in § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 TV-L zwischen Arbeitnehmern, die ein neues Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber nach einer gemäß der Protokollerklärung Nr. 3 zu § 16 Abs. 2 TV-L unschädlichen Unterbrechung begründen, und den Arbeitnehmern, die von einem anderen Arbeitgeber in ein Arbeitsverhältnis zu einem Land wechseln, verstoße gegen die unionsrechtlichen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und sei daher nichtig.

 

Normenkette

AEUV Art. 45; EUVO 492/2011 Art. 7; AEUV Art. 45 Abs. 2; EUVO 492/2011 Art. 7 Fassung: 2011-04-05; TV-L § 16 Abs. 2 Sätze 2-3

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 21 Ca 14506/14)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.02.2017; Aktenzeichen 6 AZR 843/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 01. April 2015 - 21 Ca 14506/14 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob Beschäftigungszeiten, die die Klägerin bei einem privaten Arbeitgeber zurückgelegt hat, für die Stufenzuordnung nach dem TV-L anzurechnen sind.

Die Klägerin, eine Erzieherin mit staatlicher Anerkennung, ist bei dem beklagten Land seit dem 06.01.2014 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.11.2013 als Erzieherin tätig. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages gelten für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst der Länder, in der für das Land Berlin geltenden Fassung. Nach § 4 des Arbeitsvertrages ist die Klägerin in der Entgeltgruppe 8 TV-L eingruppiert. Bei ihrer Einstellung wurde sie in dieser Entgeltgruppe der Stufe 2 zugeordnet und erhält seitdem ein entsprechendes Entgelt.

Vor ihrer Anstellung bei dem beklagten Land war die Klägerin nach zwei Berufspraktika im Zeitraum vom 01.09.1997 bis zum 28.02.1998 und vom 09.08.1998 bis zum 09.09.1998 und nach Erlangung der staatlichen Anerkennung als Erzieherin zunächst vom 15.03.1999 bis zum 30.06.1999 als Erzieherin beim Kinderhaus Mark Brandenburg e. V. beschäftigt. Danach war sie vom 01.10.2001 bis zum 15.08.2011 im Kinderladen EKT L. e. V. und vom 16.08.2011 bis zum 31.12.2013 bei der Technischen J. F.- und B. (tjbfg) als Erzieherin tätig.

Mit Schreiben vom 28.07.2014 (Bl. 14 und 15 d. A.) machte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 05.12.2013 (C-514/12 [Salzburger Landeskliniken Betriebs GmbH]) die Zuordnung zur Stufe 4 der Entgeltgruppe 8 geltend. Das beklagte Land erwiderte darauf mit Schreiben vom 06.08.2014 (Bl. 16 d. A.), sie habe einschlägige Berufserfahrung aus mehreren Arbeitsverhältnissen nachweisen können, nach den tariflichen Regelungen ergebe sich daraus jedoch nur eine Zuordnung zur Stufe 2. Mit einem weiteren Schreiben vom 30.09.2014 (Bl. 17 d. A.) machte die Klägerin die Zahlung eines Entgelts aus Entgeltgruppe 8 Stufe 5 geltend und forderte das beklagte Land auf, das Entgelt entsprechend nachzuberechnen und ihr auch künftig Entgelt nach Entgeltgruppe 8 Stufe 5 zu zahlen.

Mit ihrer am 15.10.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Feststellungsklage verlangt die Klägerin ab dem 06.01.2014 Entgelt nach der Entgeltgruppe E8 Stufe 5 TV-L Berliner Fassung. Sie begründet ihren Anspruch damit, die Nichtberücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern als dem Land Berlin verstoße nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gegen die europäischen Regelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit. Insofern erweise sich die tarifliche Regelung als nichtig.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 1. April 2015, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin mit Wirkung ab dem 6. Januar 2014 nach der Entgeltgruppe E8 Stufe 5 TV-L Berliner Fassung zu vergüten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe durch die vor der Beschäftigung bei dem beklagten Land ausgeübten Tätigkeiten einschlägige Berufserfahrung in der Entgeltgruppe 8 TV-L erworben. Di...

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