Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksame Allgemeinverbindlicherklärungen von Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes

 

Leitsatz (amtlich)

Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 29.05.2013 (Bundesanzeiger vom 07.06.2013) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren in der Fassung vom 17.12.2012 und die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25.10.2013 (Bundesanzeiger vom 04.11.2013 mit Berichtigung Bundesanzeiger vom 14.03.2014) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren in der Fassung vom 03.05.2013 sind wirksam.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG in der bis zum 15.08.2014 geltenden Fassung kann das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich erklären, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint.

2. Zur Bestimmung, ob das Quorum von mindestens 50 % erreicht ist, sind die Zahl der Arbeitnehmer, für die der VTV-Bau nach § 1 räumlich, betrieblich und persönlich anwendbar ist ("Große Zahl") und die Gesamtzahl derjenigen Arbeitnehmer, die von aufgrund Verbandsmitgliedschaft tarifgebundenen Arbeitgebern ("Kleine Zahl") beschäftigt werden, in Verhältnis zu setzen. Hat die oberste Bundesbehörde alle zumutbaren Nachforschungen unternommen und alle erreichbaren aussagekräftigen Unterlagen verwertet und auf dieser Grundlage ein Ergebnis ermittelt oder auf ihnen aufbauend eine Schätzung vorgenommen, die nach den vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar ist, sind die Gerichte nicht befugt, dieses Ergebnis zu korrigieren oder eine andere Bewertung vorzunehmen.

3. Ist nicht festzustellen, ob diese Prüfung stattgefunden hat oder beruht die Berechnung oder Schätzung der Behörde auf erkennbar fehlerhaftem Zahlenmaterial, muss die mangelnde Aufklärung nachgeholt werden. Im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden Prüfung der erforderlichen Anzahl der Beschäftigten ist zu berücksichtigen, dass eine exakte Feststellung nahezu unmöglich ist und deshalb eine sorgfältige Schätzung ausreicht, wozu jedoch eine Ausschöpfung aller greifbaren Erkenntnismittel und eine möglichst genaue Auswertung des verwertbaren statistischen Materials erforderlich ist.

4. Im Hinblick auf das durch § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG a.F. bestimmte Quorum ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 1 Abs. 2 Eingangssatz VTV-Bau nur Betriebe und Betriebsabteilungen unter den Tarifvertrag fallen, welche die in den Abschn. I bis IV genannten (baulichen) Leistungen überwiegend erbringen. § 1 Abs. 2 Abschn. VII VTV-Bau stellt mit der Formulierung "Nicht erfasst werden Betriebe (...)" ausdrücklich klar, dass bestimmte Unternehmen des Ausbaugewerbes nicht unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrags fallen, wobei diese betriebsbezogenen (arbeitgeberbezogenen) Ausnahmen von dem Anwendungsbereich nur erfüllt sind, wenn mehr als 50% der betrieblichen Gesamtarbeitszeit einem der Ausnahmetatbestände zuzuordnen sind, so dass der VTV-Bau insoweit keine Geltung für die entsprechenden Arbeitsverhältnisse beansprucht sondern vielmehr klarstellt, dass eine solche Geltung von vornherein nicht in Betracht kommt.

5. Hinsichtlich des gebotenen öffentlichen Interesses eröffnet § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TVG a.F. der zuständigen Behörde einen außerordentlich weiten Beurteilungsspielraum, so dass eine gerichtliche Überprüfung nur insoweit in Betracht kommt, als der Behörde wesentliche Fehler vorzuwerfen sind. Das folgt zum Einen daraus, dass nach dem Gesetzeswortlaut ein öffentliches Interesse nur "geboten erscheinen" muss, und zum Anderen die verfahrensmäßige Absicherung der Interessenabwägung eine ausreichende Gewähr dafür bietet, dass die für die Allgemeinverbindlicherklärung zuständige Behörde ihren kraft Gesetzes weiten Beurteilungsspielraum sachgemäß nutzt.

6. § 5 TVG a.F. bot eine wirksame Rechtsgrundlage für die Allgemeinverbindlicherklärungen und verstößt weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Grundrechtecharta der Europäischen Union oder gegen sonstiges höherrangiges Recht. Das gilt auch für die Allgemeinverbindlicherklärungen selbst.

 

Normenkette

ArbGG § 98 Abs. 1, 4 S. 1, § 2a Abs. 1 Nr. 5; TVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 2006-10-31, Nr. 2 Fassung: 2006-10-31, § 11; TVGDV § 4; GG Art. 9 Abs. 3; VTV-Bau §§ 1, 1 Abs. 2; EMRK Art. 13, 11; EUGrdRCh Art. 47, 12, 28, 16; TV-GDV § 4

 

Tenor

I. Es wird unter Zurückweisung der Anträge der Beteiligten zu 1), 7) bis 15) und 17) bis 27) festgestellt, dass die vom Beteiligten zu 2) bekannt gemachte Allgemeinverbindlicherklärung vom 29.05.2013 (Bundesanzeiger vom 07.06.2013) des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren in der Fassung vom 17.12.2012 und die vom Beteiligten zu 2) bekannt gemachte Allgemeinverbindlicherklärung v...

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