Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Nachprüfungsverfahren wegen absichtlicher oder grob nachlässiger Nichtmitteilung der neuen Anschrift

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Aufhebung einer Prozesskostenhilfebewilligung im Nachprüfungsverfahren wegen einer nicht unverzüglichen Mitteilung einer geänderten Anschrift der PKH-Partei ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Pflichtverletzung "absichtlich" oder aus "grober Nachlässigkeit" erfolgte.

2. Eine grobe Nachlässigkeit liegt nicht schon allein deshalb vor. weil die PKH-Partei trotz entsprechender Belehrung im PKH-Formular die Mitteilung schlicht vergessen hat (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.06.2015 - 4 Ta 8/15; LAG Köln, Beschluss vom 14.09.2015 - 4 Ta 285/15).

3. Das Gericht hat der PKH-Partei die grobe Nachlässigkeit, nicht die PKH-Partei dem Gericht das Fehlen einer groben Nachlässigkeit nachzuweisen (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 22.09.2015 - 1 Ta 294/15).

 

Normenkette

ZPO § 120a Abs. 2 S. 1, § 124a Abs. 2 Nr. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Cottbus (Entscheidung vom 30.09.2015; Aktenzeichen 12 Ca 10367/14)

 

Tenor

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Cottbus, Kammern Senftenberg, vom 20. Oktober 2015 - 12 Ca 10367/14 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur Prüfung und Entscheidung im Überprüfungsverfahren nach § 120a Abs. 1 ZPO an das Arbeitsgericht Cottbus, Kammern Senftenberg, zurückverwiesen

 

Gründe

I. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Klägerin (Prozesskostenhilfepartei (PKH-Partei) gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung im Nachprüfungsverfahren.

Die von Anfang an anwaltlich vertretene PKH-Partei beantragte für ihre Kündigungsschutzklage vom 26.06.2014 beim Arbeitsgericht Cottbus Prozesskostenhilfe (PKH). Dazu füllte sie das Formular zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse aus, das unter "K" vor dem Unterschriftsfeld die Belehrung enthält, dass die PKH-Partei verpflichtet ist, Änderungen der Wohnanschrift unverzüglich mitzuteilen. Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Cottbus, Kammern Senftenberg (im Folgenden: ArbG Cottbus), vom 18.07.2014 wurde der PKH-Partei Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung gewährt. Mit Schreiben vom 29.09.2014 (Bl. 21 Rücks.) wurde die PKH-Partei noch einmal über ihre Mitteilungspflichten, darunter auch über die Pflicht, eine Änderung der Anschrift mitzuteilen, informiert. Mit Schreiben vom 04.08.2015 (Bl. 22 Rücks.) wurden die Prozessbevollmächtigten der PKH-Partei aufgefordert, eine aktuelle Erklärung zu den Vermögensverhältnissen der PKH-Partei zuzusenden. Mit Schreiben vom 04.09.2015 (Bl. 25) wurden die Prozessbevollmächtigten der PKH-Partei diesbezüglich unter Fristsetzung bis zum 18.09.2015 angemahnt. Mit Beschluss vom 20.10.2015 hob das ArbG Cottbus den Beschluss auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 18.07.2014 auf (Bl. 28). Dies unter Berufung auf § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 124 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO. Der Aufhebungsbeschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der PKH-Partei gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, der PKH-Partei formlos. Der Brief konnte der Klägerin unter der alten Anschrift nicht zugestellt werden und kam mit der Angabe der neuen Anschrift der Klägerin zurück (Bl. 30). Mit Schriftsatz vom 23.11.2015 (Bl. 31), bei Gericht eingegangen am 23.11.2015, legte der Prozessbevollmächtigte der PKH-Partei gegen den Aufhebungsbeschluss vom 20.10.2015 "sofortige Beschwerde" ein und legte eine neue Erklärung der PKH-Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom "23.09.2015" anbei (Bl. 35 ff.). Aus dieser Erklärung geht u.a. hervor, dass die PKH-Partei am 05.02.2015 ihr drittes Kind geboren hat. Nach dem als Anlage beigelegtem Mietvertrag vom 26.01.2015 hatte die Klägerin für die Zeit ab dem 01.04.2015 eine neue Wohnung angemietet. Dies ohne das Gericht darüber zu informieren. Mit Beschluss vom 21.12.2015 (Bl. 61 f.) half das ArbG Cottbus der sofortigen Beschwerde nicht ab. Dies mit der Begründung, dass der PKH-Beschluss gemäß den §§ 120a Abs. 2 i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben sei, da die hinreichend belehrte PKH-Partei ihre neue Anschrift nicht "unverzüglich" dem Gericht mitgeteilt habe.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Die Sache ist zur Sachentscheidung zurück zu verweisen.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 567 Abs. 1 und 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß §§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i. V. m. § 120a Abs. 2 S. 1 ZPO sind nicht erfüllt.

2.1 Es kann offen bleiben, ob der Beschluss des ArbG Cottbus nicht schon deshalb aufzuheben ist, weil der PKH-Partei kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde. Schließlich wurde die Nichtabhilfe mit der Verletzung der Mitteilungspflicht gemäß § 120a Abs. 2 S. 1 ZP...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge