Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen jahrelanger Geltendmachung nicht geleisteter Überstunden. Berufung des Arbeitnehmers auf die Billigung durch den Vorgesetzten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Ein Arbeitnehmer, der über Jahre hinweg monatlich zu den geleisteten Überstunden weitere sieben Stunden sich abzeichnen und vergüten lässt, begeht eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Er kann sich regelmäßig nicht darauf berufen, er habe auch sonstige Überstunden geleistet, die nicht geltend gemacht wurden. Er kann sich auch nicht darauf berufen, ihm würden zu Unrecht Erschwerniszuschläge gem. § 19 TVöD vorenthalten. Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes kann sich auch nicht darauf berufen, sein Vorgesetzter habe es gebilligt, dass er monatlich fiktive Überstunden in einem Umfang geltend macht, der dem Wert der aus Sicht des Arbeitsnehmers und seines Vorgesetzten zu Unrecht versagten Erschwerniszuschlägen entspricht.

2. In einem solchen Fall ist der Ausspruch einer Abmahnung von dem der Kündigung entbehrlich. Im Rahmen der Interessenabwägung ist u.a. das Verschulden des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Es wirkt sich zu seinen Gunsten aus, wenn er mit guten Gründen davon ausgehen durfte, ihm stünden die versagten Erschwerniszuschläge auch weiterhin zu. Darüber hinaus ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, wenn er von einer Mitarbeiterin des Personalbereichs zu seinem betrügerischen Verhalten angestiftet wurde und sein unmittelbarer Vorgesetzter dieses gebilligt und aktiv gedeckt hat.

3. Ist die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses kraft Tarifvertrages ausgeschlossen, wirkt sich dies bei der Interessenabwägung nicht zu Lasten des Arbeitnehmers im Vergleich zu einem Arbeitnehmer aus, bei dem das nicht der Fall ist.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; TVöD §§ 19, 34 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 21.09.2017; Aktenzeichen 12 Ca 63/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.12.2018; Aktenzeichen 2 AZR 370/18)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 21.9.2017 - 12 Ca 63/17 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
  3. Die Revision wird zugelassen
 

Tatbestand

Zwischen den Parteien sind die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen sogenannten Arbeitszeitbetruges und ein Beschäftigungsbegehren im Streit.

Der Kläger ist Jahrgang 1967, verheiratet und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Er trat zum 15. September 2008 zunächst befristet und seit dem 1. März 2010 unbefristet in die Dienste der beklagten Stadt unter Anrechnung einer Beschäftigungszeit seit dem 23. August 2001 gem. § 34 Abs. 3 TVöD (Schreiben vom 14. Mai 2010 = Bl. 9 der Akte des Arbeitsgerichts, nachfolgend I). Seit dem 1. März 2010 wird der Kläger als Abteilungsleiter der Fahr- und Sonderdienste im Eigenbetrieb der Beklagten Nationaltheater der Stadt M. eingesetzt gegen ein monatliches durchschnittliches Arbeitsentgelt in Höhe von 3.732,29 Euro nach der Entgeltgruppe 08 TVöD inklusive Zulagen. Auf das Arbeitsverhältnis findet das Tarifgefüge für den öffentlichen Dienst in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung Anwendung. Zum 1. Mai 2012 wurde die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Klägers gemäß Anl. C. 11 Nr. 4 Abs. 2 TVöD nach befristeter Arbeitszeiterhöhung um 5,5 Stunden wöchentlich dauerhaft auf 44,5 Stunden wöchentlich erhöht (Bl. I, 12, 262).

Nach der Arbeitsplatzbeschreibung vom November 2008 gehören zu den dort näher beschriebenen Aufgaben des Leiters der Fahr- und Sonderdienste im Nationaltheater die computergestützte Veranstaltungslogistik und Personalplanung, die Mitarbeiterführung betreffend sechs bis 15 Stellen, die Fuhrparkverwaltung der Sattelschlepper und LKW, die Planung und Überwachung der fachgerechten Lagerung von Dekorations- und Bauteilen in den Dekorationsmagazinen, die Planung und Überwachung der termingerechten Abwicklung von Sonderfahrten einschließlich Erstellen von Carnets für internationale Gastspiele, die Teilnahme an Dispositionsbesprechungen, Vorstellungs- und Probebetrieb monats- und wochenweise, die Entscheidungsfindung über Umsetzung der Dispositionswünsche, das Fahren von Sattelschleppern, LKW, Bussen und PKW (Bl. I 264ff.).

Der Kläger leistete über die regelmäßige - erhöhte - Arbeitszeit hinaus auch Überstunden u.a. deswegen, weil die ihm nachgeordneten acht Arbeitskräfte ihre Aufgaben nicht ohne Unterstützung erledigen konnten. Der Kläger übernahm einzelne Schichten und sprang beispielsweise im Fall des langzeiterkrankten Mitarbeiters G. ein. Hierfür erhielt der Kläger keinen Freizeitausgleich, sondern ...

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