Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückweisung der Betriebsratsanhörung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde. Annahmeverzug. Insolvenz nach griechischem Recht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigung ist gemäß § 102 Abs.1 Satz 3 BetrVG unwirksam, wenn das die Betriebsratsanhörung einleitende Schreiben eines für den Arbeitgeber handelnden betriebsfremden Dritten vom Betriebsrat unverzüglich wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde gerügt und deswegen zurückgewiesen wird. Die analoge Anwendung des § 174 BGB auf diesen Fall der geschäftsähnlichen Handlung rechtfertigt sich aus der bestehenden Regelungslücke und der vergleichbaren Interessenlage, die dem Normzweck des § 174 BGB zugrunde liegt.

2. Die insolvenzrechtliche Einordnung von Annahmeverzugslohnansprüchen, die nach Anordnugn eines griechischen Sonderliquidationsverfahrens entstanden sind, richtet sich gemäß § 4 Abs. 1 EuInsVO (Verordnung [EG] Nr. 1346/2000 des Raten vom 29.05.200 über Insolvenzverfahren) nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, also nach griechischem Recht.

 

Normenkette

BetrVG § 102; BGB § 174

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 28.04.2011; Aktenzeichen 21 Ca 8180/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.12.2012; Aktenzeichen 6 AZR 303/12)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28.04.2011 – 21 Ca 8180/10 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

  1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die Kündigung der Beklagten zu Ziffer 1) vom 29.12.2009 aufgelöst worden ist.
  2. Die Beklagte zu Ziffer 1) wird verurteilt, an die Klägerin 34.980,00 EUR brutto abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 13.039,00 EUR netto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 21.941,00 EUR ab 01.10.2011 zu zahlen.
  3. Die Beklagte zu Ziffer 1) wird verurteilt, an die Klägerin 1.404,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 06.01.2012 zu zahlen.
  4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin ist des gegen die Beklagte zu 2) eingelegten Rechtsmittels der Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28.04.2011 – 21 Ca 8180/10 – verlustig.

III. Von den Gerichtskosten erster Instanz haben die Klägerin und die Beklagte zu Ziffer 1) je 50 % zu tragen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten zu Ziffer 2). Die Beklagte zu Ziffer 1) trägt 50 % der außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Klägerin. Im Übrigen tragen die Parteien die außergerichtlichen Kosten erster Instanz selbst.

Von den Gerichtskosten zweiter Instanz haben die Klägerin 17 % und die Beklagte zu Ziffer 1) 83 % zu tragen. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten zu Ziffer 2). Die Beklagte zu 1) trägt 83% der außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Klägerin. Im Übrigen tragen die Parteien die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz selbst.

IV. Die Revision wird für die Beklagte zu Ziffer 1) zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten nach Berufungsrücknahme gegen die Beklagte zu 2) im Rahmen des Berufungsverfahrens um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1) vom 29.12.2009, die diese in ihrer Eigenschaft als Sonderliquidatorin nach g. Recht der Firma O. A. S. ausgesprochen hat, und erstmals um Annahmeverzugslohnansprüche für die Zeit von April 2010 bis September 2011. In erster Instanz wurde auch darüber gestritten, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege des Betriebsübergangs mit der Beklagten zu 2) fortbesteht.

Die am 09.05.1964 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin war seit dem 01.04.1984 bei der Firma O. A. S. bzw. bei deren Rechtsvorgängerin (O. A.) beschäftigt, zuletzt gemäß Änderungsvertrag vom 25.01.2007 (Bl. 38 und 39 der erstinstanzlichen Akte) als teilzeitbeschäftigte Ticket- und Reservierungsagentin am Flughafen in S. zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.911,00 EUR. Im Änderungsvertrag der Klägerin werden über eine Bezugnahme auf die Bedingungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags vom 20.03.1984 (Bl. 37 der erstinstanzlichen Akte) die Beschäftigungsbedingungen für Beschäftigte der Firma O. A. in Bezug genommen.

Ziffer 10 dieser Beschäftigungsbestimmungen lautet:

„10. WEIHNACHTSBONUS

Jeder O.A. Arbeitnehmer erhält im November eines jeden Jahres einen Weihnachtsbonus der 100 % seines Novembergrundgehaltes ausmacht.

Falls eine Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres begann oder beendet wurde, wird 1/12 des Weihnachtsbonus für jeden Monat der Beschäftigung gezahlt. Für fristlos entlassene Arbeitnehmer wird kein Bonus gezahlt.”

Die Beklagte zu 2) ist eine Fluglinie mit Hauptsitz in G., gegenüber der die Klägerin in erster Instanz geltend gemacht hat, sie habe den Betrieb der Firma O. A. S. übernommen.

Bei der Firma O. A. S. handelt es sich um eine Fluggesellschaft mit Sitz in A., die Linienflugdienste innerhal...

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