Entscheidungsstichwort (Thema)

Diskriminierung. Schwerbehinderung. Bewerbung. besetzte Stelle. Entschädigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch auf eine zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs bereits besetzte Stelle, so scheidet ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bereits deshalb aus, weil im Hinblick auf eine nicht mehr zu treffende Auswahlentscheidung keine Diskriminierungsvermutung entstehen kann.

2. Allein die unterlassene Einschaltung der Arbeitsagentur gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX lässt ebenfalls keine Vermutung einer Diskriminierung schwerbehinderter Menschen entstehen, weil damit keine Außenwirkung verbunden ist.

 

Normenkette

SGB IX § 81 Abs. 1 S. 1; AGG § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Lörrach (Urteil vom 16.09.2008; Aktenzeichen 1 Ca 161/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.08.2010; Aktenzeichen 8 AZR 370/09)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 16.09.2008, Az. 1 Ca 161/08, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligte.

Der Kläger hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 80. Er ist Diplom-Ingenieur (FH), Fachrichtung Elektrotechnik.

Am 29.12.2007 fand sich auf der Homepage der Beklagten eine Stellenausschreibung, wonach die Beklagte zur Verstärkung ihres Teams am Standort G. eine/n kreative/n Entwicklungsingenieur Digitale Elektroniken (m/w) zur Entwicklung digitaler Elektronik, Hardware und Firmware für optoelektronische Sensoren suchte. Gefordert wurde ein abgeschlossenes (Fach-) Hochschulstudium, Erfahrungen mit der Entwicklung digitaler Schaltungen, Versiertheit im Umgang mit DSP, CPLD, FPGA und Kenntnisse mit Echtzeitanwendungen, Echtzeitbetriebssystemen und DSP-Assemblerprogrammierung.

Mit Schreiben vom 29.12.2007 bewarb sich der Kläger auf die ausgeschriebene Position. In seinem Bewerbungsschreiben heißt es auszugsweise:

„Meine Berufserfahrung als Entwicklungsingenieur umfasst mehrere Jahre, in denen ich sowohl Hardware digitaler Elektroniken als auch die zugehörige Firmware zum Betrieb der eingesetzten Mikrokontroller entwickelte. Zur Software-Entwicklung benutzte ich die Programmiersprache C, oder programmierte in Assembler. Die umfassende Projektbearbeitung inklusive Lastenhefterstellung und Produktionsübergabe ist mir geläufig.

Die Schwerbehinderung, die bei mir gemäß Schwerbehindertengesetz anerkannt wurde, hat bei Ausübung berufsüblicher Tätigkeiten keinen Einfluss darauf.”

Mit E-Mail vom 08.01.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

„Mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass nun die ausgeschriebene Position anderweitig vergeben wurde.”

Die Beklagte hatte zuvor nicht geprüft, ob der freie Arbeitsplatz mit Schwerbehinderten, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Personen, besetzt werden kann, insbesondere hatte sie nicht mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufgenommen und die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren nicht beteiligt. Ihre Verpflichtung zur Beschäftigung von Schwerbehinderten gemäß § 71 SGB IX erfüllt die Beklagte nicht.

Mit seiner am 28.05.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung verlangt und vorgetragen, aufgrund der Umstände der Bewerbung und der Ablehnung bestehe die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Der Kläger habe das in der Annonce angegebene Anforderungsprofil der Beklagten erfüllt, sei aber dennoch nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden, obwohl Entwicklungsingenieure händeringend gesucht würden. Hätte die Beklagte frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufgenommen, so hätte der Kläger von dieser einen Hinweis auf die freie Stelle bei der Beklagten erhalten, hätte sich auch vor der behaupteten Besetzung der Stelle bewerben können und wäre auch eingestellt worden. Dass allerdings die Stelle bereits am 17.12.2007 besetzt wurde, hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung zu zahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.01.2008.

Die Beklaget hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und behauptet, zum Zeitpunkt der Bewerbung des Klägers sei die auf der Homepage ausgeschriebene Stelle bereits besetzt gewesen. Schon am 17.12.2007 sei Herr P. eingestellt worden, die Beklagte habe lediglich versäumt, die Stellenausschreibung von der Homepage zu nehmen. Im Übrigen sei die Bewerbung des Klägers nicht ernst gemeint gewesen, der Kläger betreibe das Verfahren in missbräuchlicher Weise.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlage...

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