Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Angebots des Arbeitgebers zur Begründung eines Prozessarbeitsverhältnisses. Prüfung der Zumutbarkeit des Arbeitnehmers zur Annahme des angebotenen Arbeitsverhältnisses. Kein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers, die Annahme der Arbeit von der Grundlage der erfolgreichen erstinstanzlichen Kündigungsschutzklage abhängig zu machen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Obsiegt ein Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht mit einer Kündigungsschutzklage und trägt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für die Dauer des noch laufenden Gerichtsverfahrens ein "Angebot zur Begründung eines Prozessarbeitsverhältnisses" an, so ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Arbeitsaufforderung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem von dem Arbeitnehmer erwirkten Beschäftigungstitel vorliegt oder, ob eine Beschäftigung auf eigenständiger vertraglicher Grundlage erfolgen soll, etwa um das Annahmeverzugslohnrisiko zu vermeiden.

2. Liegt der zweitgenannte Fall vor und weigert sich der Arbeitnehmer, der die Zwangsvollstreckung eingeleitet hat, um seinen titulierten Beschäftigungsanspruch zu realisieren, eine schriftliche Vereinbarung über ein Prozessarbeitsverhältnis mit seinem Arbeitgeber zu schließen, kann dem Arbeitnehmer kein böswilliges Unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen, angelastet werden, wenn er darauf besteht, ausschließlich aufgrund des Titels tätig zu werden, und sich der Arbeitgeber weigert, den Arbeitnehmer ohne den Abschluss einer Vereinbarung zu beschäftigen. Der erzielbare Verdienst ist auf den Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nicht anzurechnen.

 

Normenkette

BGB § 615; KSchG § 11 S. 1 Nr. 2; BGB §§ 242, 295

 

Verfahrensgang

ArbG Heilbronn (Entscheidung vom 14.05.2020; Aktenzeichen 7 Ca 447/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 08.09.2021; Aktenzeichen 5 AZR 205/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn - Kammern Crailsheim - 7 Ca 447/19 - teilweise abgeändert:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu bezahlen:

      1. für Oktober 2019 6.666,67 Euro brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit zum Aktenzeichen 0000 übergegangener 2.742,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Differenzbetrag seit dem 1. November 2019,
      2. für November 2019 6.666,67 Euro brutto abzüglich an die Bundesagentur für Arbeit zum Aktenzeichen 0000 übergegangener 2.742,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Differenzbetrag seit dem 1. Dezember 2019,
      3. für Dezember 2019 6.666,67 Euro brutto abzüglich an die Bundesagentur für Arbeit zum Aktenzeichen 0000 übergegangener 2.742,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Differenzbetrag seit dem 1. Januar 2020.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die Beklage hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  • III.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Parteien sind Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung für die Zeit von Oktober 2019 bis Dezember 2019 im Streit.

Der Kläger trat aufgrund des Arbeitsvertrages vom 16. Dezember 2016 zum 1. April 2017 als Qualitätsmanager in die Dienste der Beklagten, die Abfüll-, Verschließ- und Prozesstechnik für medizinisch-pharmazeutische Produkte entwickelt und realisiert und der O. Unternehmensgruppe angehört, die im Bereich Abfüll- und Verpackungsanlagen für Nahrungsmittel, Chemie, Papierhygiene und Pharmazie tätig ist.

Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise (Bl. 7ff. der Akte des ArbG):

II. Bezüge

Als Vergütung für seine/ihre Tätigkeit erhält der/die Mitarbeiter/in ein Jahresgehalt in den ersten beiden Jahren der Zugehörigkeit von brutto 75.000,00 EUR, zahlbar in 12 gleichen Monatsbeträgen.

Nach zwei Jahren Zugehörigkeit (zum 01.04.2019) steigt das Jahresgehalt auf brutto 80.000,00 EUR, zahlbar in 12 gleichen Monatsbeträgen.

Über die Höhe der Bezüge ist Stillschweigen zu bewahren.

Die Zahlung erfolgt jeweils am Ende eines Kalendermonats bargeldlos unter Einbehaltung der gesetzlichen Abzüge.

Diese Vergütung erhöht sich betragsmäßig entsprechend der tariflichen Erhöhung des Gehalts eines technischen Angestellten der Tarifgruppe T 6 / 4 der Metallindustrie Nord-Württemberg/Nord-Baden, sofern durch betriebliche Regelung oder Haustarifvertrag nichts anders geregelt wird.

Eine Tarifbindung wird daraus jedoch nicht abgeleitet.

Nach den jeweils aktuellen Tarifverträgen über Entgelte und Ausbildungsvergütungen wurde das Entgelt nach der Tarifgruppe T 6/4 zum 1. April 2017 um 2,4% bzw. um 129,05 Euro erhöht sowie zum 1. April 2018 um weitere 4,3% bzw. 270,58 Euro.

Die Beklagte erhöhte das Arbeitsentgelt des Klägers zum 1. Juli 2017 von 6.250,00 Euro brutto auf 6.379,05 Euro brutto sowie zum 1. Juli 2018 auf 6.649,63 Euro brutto. Seit dem 1. April 2019 leistete die Beklagte an den Kläger ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe 6.666,67 Euro brutto.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Partei...

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