Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersgruppenbildung bei der Sozialauswahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Altersgruppenbildung soll als ein mögliches Instrument gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine ausgewogene Personalstruktur im Betrieb sichern. Dieses sozialpolitisches Ziel ist kein rein dem Arbeitgeberinteresse dienendes Ziel. Es dient auch der Gesamtheit der Belegschaft. Es ist als legitimes Ziel der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geeignet, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen gemäß Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 EG, bzw. § 10 AGG (entgegen Arbeitsgericht Siegburg 27. Januar 2010 – 2 Ca 2144/09 – LAGE KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 61).

2. Eine Altersgruppenbildung muss nicht starr in 10-Jahres-Schritten erfolgen. Gefordert wird lediglich ein in der Sache begründetes plausibles proportionales System. Dabei darf sich der Arbeitgeber auch von den Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt leiten lassen.

3. Führt eine über die „Leistungsträgerregelung” des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bedingte Herausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl dazu, dass nunmehr ein anderer Arbeitnehmer aus einer anderen Altersgruppe zur Kündigung ansteht, so hat die Schlussabwägung nicht konkret zu erfolgen zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des konkreten Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl gegen die sozialen Interessen des nunmehr zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmers. Vielmehr ist die abstrakte Altersgruppenbildung und die (abstrakte) Verschiebung der Altersgruppenbetroffenheit ins Verhältnis zu setzen zu den betrieblichen Interessen an der Weiterbeschäftigung des ausgenommenen Arbeitnehmers und sodann zu untersuchen, ob diese Verschiebung der Altersgruppenbetroffenheit (bei Bestehen eines Interessenausgleichs mit Namensliste) grob fehlerhaft ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 20.07.2010; Aktenzeichen 8 Ca 524/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.07.2012; Aktenzeichen 2 AZR 352/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – vom 20.07.2010 (8 Ca 524/09) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Die am 30.04.1957 geborene, ledige und gegenüber keinen Kindern unterhaltsverpflichtete Klägerin war bei der Beklagten beschäftigt seit 01.10.1978 als Sekretärin im Bereich der Entwicklung (Crashlabor). Die Arbeitsaufgabe wurde eingestuft in die EG7 des ERA-TV. Sie bezog zuletzt ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von durchschnittlich 2.713,34 EUR.

Die Beklagte ist tätig im Bereich der Automobilzulieferung. Sie beschäftigte zuletzt 1.820 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat ist in ihrem Betrieb in A. gebildet.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Kündigung vom 27.08.2009, der Klägerin zugegangen am 28.08.2009, ordentlich zum 31.03.2010. Gegen diese Kündigung richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage, die am 15.09.2009 beim Arbeitsgericht einging.

Der Betriebsrat wurde vor Ausspruch der Kündigung angehört mit Anhörungsschreiben vom 25.08.2009, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Der Betriebsrat hat hierzu am 26.08.2009 abschließend Stellung genommen.

Das Massenentlassungsanzeigeverfahren wurde durchgeführt.

Die Beklagte stützt die Kündigung auf betriebsbedingte Gründe.

Die Beklagte schloss mit ihrem Betriebsrat am 10.03.2009 einen Interessenausgleich. Danach sollten vor allem wegen der Teilstilllegung des Bereichs Airbag-Montage aufgrund der Verlagerung der B.-Montagebänder nach P. 70 Arbeitsplätze im gewerblichen Bereich und 30 Arbeitsplätze im Angestelltenbereich entfallen. Wegen einer Kapazitätsanpassung im Bereich Engineering sollten weitere 28 Arbeitsplätze entfallen. Der Abbau sollte in 2 Phasen erfolgen. Der Abbau von 70 Arbeitsplätzen im gewerblichen Bereich sollte gleich durchgeführt werden. Hierfür wurde dem Interessenausgleich eine Namensliste mit 70 Namen zu kündigender Arbeitnehmer fest verbunden. Die Namensliste wurde vom Betriebsrat und vom Arbeitgeber unterschrieben. Unter Ziff. 4 des Interessenausgleichs wurde zudem beschrieben, dass die Kündigungen der übrigen Arbeitnehmer erfolgen sollten im 3. Quartal 2009. Es sollte hierfür ebenfalls eine Namensliste erstellt werden, welche am 20.08.2009 auch tatsächlich erstellt wurde, vom Betriebsrat und vom Arbeitgeber unterschrieben wurde und welche mit dem Interessenausgleich fest verbunden wurde. Der Name der Klägerin befindet sich auf letztgenannter Namensliste.

Die Beklagte führte die Sozialauswahl durch auf der Grundlage im Interessenausgleich vereinbarter Regelungen. Innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppen wurden 3 Altersgruppen gebildet, nämlich eine Altersgruppe 1, der Arbeitnehmer bis 35 Jahre zugeordnet wurden, einer Altersgruppe 2, der Arbeitnehmer zwischen 36 und 45 Jahren zugeordnet wurden und eine Alte...

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