Entscheidungsstichwort (Thema)

Allgemeiner Missbrauchsvorbehalt. Kündigung außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Fall einer Probezeitvereinbarung ist der Prüfungsmaßstab des Kündigungsschutzgesetzes – aus Sinn und Zweck der Probezeitvereinbarung folgend – weiter gelockert. Dies kann bei einer an der objektiven Interessenlage orientierten Vertragsauslegung sinnvoller Weise nur bedeuten, dass der kündigende Arbeitgeber im Streitfall lediglich nachvollziehbare und vertretbare Motive für seinen Kündigungsentschluss darlegen muss, um dem Willkürvorwurf zu entgehen. Damit wird der Arbeitnehmer nicht in unzumutbarer Weise in seinen Grundrechtspositionen beschnitten. Im Bereich privatautonomer Gestaltung der Arbeitsvertragsbedingungen steht es ihm frei, von der Vereinbarung einer Probezeit Abstand zu nehmen oder sogar – je nach Lage der wirtschaftlichen und sozialen Umstände der Vertragspartner –die Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitgeber an die Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes zu knüpfen oder verlängerte Kündigungsfristen zu vereinbaren.

2. Im Bereich des öffentlichen Dienstes gelten dabei keine anderen – den Arbeitgeber in seiner Rechtsposition einschränkenden – Grundsätze, selbst wenn bei der Einstellung des Arbeitnehmers ein Auswahlverfahren nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG durchgeführt worden ist. Einer umfassenden Interessenabwägung zwischen Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und Beendigungsinteresse des Arbeitgebers bedarf es auch im Hinblick auf die Art. 12 und 33 Abs. 2 GG nicht.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 612a, 134, 242; GG Art. 12, 33 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Urteil vom 05.12.2000; Aktenzeichen 15 Ca 10574/98)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 21.06.2006; Aktenzeichen 1 BvR 1659/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom05.12.2000 – Aktenzeichen 15 Ca 10574/98 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des gesamten Rechtsstreites hat die Klägerin zu tragen.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Von einer ausführlichen Darstellung des Prozessstoffes wird angesichts des Umfanges der Prozessakten und im Hinblick auf § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen, nachdem die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen worden ist. Stattdessen wird auf den Inhalt der angefochtenen arbeitsgerichtlichen Entscheidung und der von beiden Parteien in erster Instanz eingereichten umfangreichen Schriftsätze verwiesen.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung innerhalb der vertraglich vereinbarten Probezeit nach nicht einmal 10-wöchiger Beschäftigung der Klägerin, der Sozialwidrigkeit einer im Laufe des Kündigungsfeststellungsprozesses ausgesprochenen vorsorglichen weiteren ordentlichen Kündigung sowie den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, in zweiter Instanz auch über die Begründetheit eines Auflösungsantrages seitens des beklagten Landkreises.

Das Vorbringen der Parteien im zweiten Rechtszug erschließt sich aus den Schriftsätzen des Beklagten vom 05.08.2002, 05.02. sowie 13.02.2003 (LAG-ABl. 10–58; 119–128 bzw. 142–151) und denen der Klägerin vom 14.10.2002 und vom 28.02.2003 (LAG-ABl. 61–101 bzw. 142–151). Hierauf wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt festzustellen, dass die Kündigungen des Beklagten vom 04.12.1998, ihr zugegangen am 09.12.1998, und vom 24.09.1999, zugegangen am 20.09.1999, ihr Beschäftigungsverhältnis als Chefärztin der Geburtshilflich-Gynäkologischen Klinik P. R. nicht beendet haben, so dass das Beschäftigungsverhältnis fortbesteht.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Klagebegehren mit der Feststellung entsprochen, dass das Angestelltenverhältnis der Parteien durch die Kündigungen des beklagten Landkreises vom 04.12.1998 und vom 24.09.1999 nicht beendet worden ist.

Gegen das ihm am 03.05.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.06.2002 beim Landesarbeitsgericht eingereichte, innerhalb verlängerter Begründungsfrist ausgeführte Berufung des Beklagten. Dieser trägt gegen das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen die folgenden Angriffe vor:

Das Verfahren habe einen nur noch als chaotisch zu bezeichnenden Verlauf genommen. Ein am 13.07.1999 gefasster Beweisbeschluss sei zunächst berichtigt und dann teilweise wieder aufgehoben, ein weiterer vom 19.07.1999 sei unvollständig ausgeführt worden; die am 19., 20. und 22.07.1999 ganztägig, teilweise bis spät in den Abend hinein durchgeführte Beweisaufnahme – teilweise in öffentlichen Räumen des Krankenhauses R. unter faktischem Ausschluss der Öffentlichkeit – habe insbesondere der von Dr. S. durchgeführten Operation der Patientin M. B. gegolten, wobei der Vorsitzende in fremdem Eigentum stehende Videobänder kurzerhand unter Berufung auf § 144 ZPO zur Akte genommen habe, um sie kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Der Aufklärungs- und Beweisbeschluss vom 07.10.1999 sei infolge eines missverständl...

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