Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinsamer Betrieb. Betriebsübergang. Identität der betrieblichen Einheit. Vertrauensschutz in frühere Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein gemeinsamer Betrieb setzt voraus, dass sich wenigstens zwei Unternehmen – zumindest konkludent – zur gemeinsamen Führung eines Betriebs rechtlich verbunden haben, mit der Folge, dass der Kern der Arbeitgeberfunktion im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird und somit ein einheitlicher betriebsbezogener Leitungsapparat vorliegt.

2. Arbeitgeber genießen bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 Vertrauensschutz im Hinblick auf § 17 KSchG. Bis dahin durften sie auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die durchgängige Verwaltungspraxis der Agenturen für Arbeit vertrauen, die eine Anzeige vor der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen ließen.

 

Normenkette

BGB § 613a; KSchG § 17

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Urteil vom 12.04.2005; Aktenzeichen 12 Ca 596/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 26.07.2007; Aktenzeichen 8 AZR 769/06)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 12.04.2005 – AZ.: 12 Ca 596/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers im Wege des Betriebsüberganges auf die Beklagten zu 2 und 3 mit Wirkung ab 01.11.2004, bzw. über die Wirksamkeit einer Kündigung der D. D. GmbH vom 17.11.2004 zum 30.04.2005 und einer von dem Beklagten zu 1 ausgesprochenen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung vom 27.12.2004 zum 31.03.2005.

Der 1965 geborene Kläger war seit 1980 bei der D. D. GmbH, die ihren Betriebssitz in der D., O. hatte, als Zimmermann bei einem Monatslohn von EUR 2.595,89 brutto beschäftigt. Er war zuletzt Mitglied des dreiköpfigen Betriebsrates. Geschäftsführer und Gesellschafter der D. D. GmbH mit einem Anteil von je 50 % waren die Geschäftsführer der Beklagten zu 2 und 3, U. D. und U. D. 1. Sie stellten am 25.10.2004 Antrag auf Insolvenzeröffnung über das Vermögen der D. D. GmbH. Etwa zeitgleich wurden die Beklagten zu 2 (D. D. 1 GmbH) und 3 (D. D. 2 GmbH) gegründet und im Handelsregister eingetragen. In einem zwischen der D. D. GmbH und ihrem Betriebsrat abgeschlossenen Interessenausgleich vom 12.11.2004, dem der Beklagte zu 1 als damals noch vorläufiger Insolvenzverwalter zugestimmt hat, wurde festgestellt, dass mangels finanzieller Mittel und zureichender Auftragslage der Geschäftsbetrieb der D. D. GmbH nicht fortgeführt werden könne und allen Arbeitnehmern gekündigt werden müsse. Mit dem Interessenausgleich war die Namensliste aller Mitarbeiter verbunden. Die D. D. GmbH kündigte daraufhin mit Zustimmung des Beklagten zu 1 als vorläufigem Insolvenzverwalter und nach Anhörung des Betriebsrates dem Kläger, wie allen anderen frei kündbaren Arbeitnehmern auch, mit Schreiben vom 17.11.2004 mit ordentlicher Kündigungsfrist.

Über das Vermögen der D. D. GmbH wurde am 01.12.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte zu 1 beschäftigte von den Mitarbeitern nur einen Angestellten, nämlich den Buchhalter, weiter, die übrigen 23 Arbeitnehmer stellte er von ihren Arbeitspflichten frei und stellte damit auch den Betrieb ein. Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte der Beklagte zu 1 das Arbeitsverhältnis des Klägers mit noch im Dezember 2004 zugegangenem Schreiben vom 27.12.2004 zum 31.03.2005. Massenentlassungsanzeige erfolgte bei der Agentur für Arbeit erst nach Ausspruch der Kündigung am 17.01.2005. Arbeitsgeräte und Fahrzeuge der D. D. GmbH veräußerte der Beklagte zu 1 an die M. GmbH, Sägewerk in S..

Die Beklagten zu 2 und 3 nahmen ihren Geschäftsbetrieb noch im Jahr 2004 auf. Die Beklagte zu 2 hat ihren Sitz und unterhält ihr Lager auf dem im Eigentum ihres Geschäftsführers stehenden Grundstück D. in O., auf dem sich auch das Lager der D. D. GmbH befand. Das Büro der Beklagten zu 2 befindet sich in dem Privathaus ihres Geschäftsführers in S.. Sie nutzt die Festnetznummer der D. D. GmbH weiter. Die Beklagte zu 2 beschäftigte zunächst 2 bis 3 Monate je nach Arbeitsanfall 5 zuvor bei der D. D. GmbH tätige Mitarbeiter (2 Dachdecker, 1 Dachdeckerhelfer, 1 Spengler und 1 Isolierer) und stellte diese spätestens ab April 2005 fest ein. Außerdem übernahm sie zum 01.12.2004 von der D. D. GmbH einen Auszubildenden und stellte einen weiteren bis 2003 bei der D. D. GmbH beschäftigten Arbeitnehmer ein. Im Büro arbeitete zunächst die Mehrheitsgesellschafterin als geringfügig Beschäftigte, ab 01.05.2005 wurde eine zuvor bei der D. D. GmbH als Bürohilfe beschäftigte Mitarbeiterin eingestellt. Die Beklagte zu 2 mietete bzw. kaufte von der Firma M. aus dem ehemaligen Bestand der D. D. GmbH vier fest installierte Maschinen (zwei Sägemaschinen, eine Hobelmaschine und eine Biegemaschine), drei Fahrzeuge und B...

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