Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige außerordentliche Kündigung wegen Beleidigung eines Vorgesetzten in der Kommentarfunktion der Facebook-Chronik eines Arbeitskollegen mittels Emoticons. Abmahnungserfordernis bei Aufschaukeln an Herabsetzungen anderer in plumper Art und Weise

 

Leitsatz (amtlich)

Beleidigung von Vorgesetzten in der Kommentarfunktion der Facebookchronik eines Arbeitskollegen mittels Emoticons. - Einzelfallentscheidung.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch grobe Beleidigungen der Arbeitgeberin und/oder ihrer Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für die Betroffenen bedeuten, können einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Arbeitgeberin (§ 241 Abs. 2 BGB) darstellen und eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

2. Die Bezeichnung einer anderen Person als “fettes Schwein„ in der Kommentarfunktion der Facebook-Chronik eines Arbeitskollegen mittels Emoticon [2016_013186-002.gif] stellt ohne Zweifel eine grobe Beleidigung dar, wenn mit dieser Beleidigung dem gesamten Zusammenhang der Gesprächsführung nach ein Vorgesetzter eines Kollegen gemeint ist und die Beleidigung im direkten Zusammenhang mit der Frage erfolgt, für wie lange der Kollege wohl einen “gelben Urlaubschein„ erhält. Lang andauernde Arbeitsunfähigkeiten führen klassischerweise zu Verdruss bei Vorgesetzten.

3. Erfolgt eine beleidigende Äußerung nicht in der eigenen Chronik, sondern in der Chronik eines anderen Nutzers, muss der beleidigende Arbeitnehmer davon ausgehen, dass er die Angabe gegenüber einem ihm unbekannten Empfängerkreis macht, so dass die Mitteilung neben den eigenen Freunden zumindest auch von den Freunden des Chronikinhabers eingesehen werden kann. Der beleidigende Arbeitnehmer hat zudem keine Kontrolle mehr darüber, ob sein Kommentar öffentlich wird, da der Chronikinhaber den Empfängerkreis jederzeit (auch nachträglich) ändern kann, soweit der Kommentar aufgrund unveränderter Facebook-Grundeinstellungen nicht ohnehin von vornherein öffentlich ist.

4. In der erforderlichen Gesamtabwägung ist im Einzelfall zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn ihm angesichts der tatsächlichen Gesamtumstände die Tragweite seines Tuns und die Reichweite seiner Beleidigungen in dieser Form deshalb nicht bewusst war, weil er offenkundig davon ausging, dass die von ihm verwendeten Codes und Spitznamen nicht allgemein, sondern nur für Eingeweihte verständlich sind, obwohl sich der Kreis der Kommentatoren (21 Personen) nicht nur aus einem kleinen Kreis mit den betrieblichen Verhältnissen der Arbeitgeberin vertrauter Person beschränkte.

5. Beleidigungen können Ausdruck eines vielfach zu beobachtenden Phänomens sein, dass unter dem Schutz der Anonymität der sozialen Netzwerke deutlich heftiger “vom Leder gezogen„ wird als man dies in einem Gespräch direkt Auge gegenüber Auge getan hätte. Hat der Arbeitnehmer das Aufschaukeln an Herabsetzungen anderer in einer plumpen Art und Weise schlicht lustig gefunden, kann unter den besonderen Umständen des Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass dieses gänzlich unannehmbare Verhalten durch eine Abmahnung, mit der dem Arbeitnehmer die Außenwirkung seiner groben Beleidigungen deutlich vor Augen gehalten wird, eine Einsicht in die Unrechtmäßigkeit seines Tun geweckt werden kann, so dass insbesondere vor dem Hintergrund eines sechzehnjährigen unbeanstandeten Arbeitsverhältnisses mit entsprechenden Vertragsstörungen künftig nicht mehr gerechnet werden muss.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 08.12.2015; Aktenzeichen 1 Ca 290/15)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 08.12.2015 (1 Ca 290/15) wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung und einer hilfsweisen ordentlichen Kündigung, über Weiterbeschäftigung und über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

Der am 00.00.19XX geborene, verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 01.09.1999 beschäftigt als Montagearbeiter. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 20. Der Kläger und seine Ehefrau, die ebenfalls bei der Beklagten beschäftigt ist, pflegen daheim die demenzkranke Großmutter des Klägers, weshalb beide wechselweise in Teilzeit arbeiten, der Kläger mit einem Beschäftigungsumfang von 28 Stunden pro Woche. Der Kläger bezieht ein Tarifentgelt der EG 6 iHv. 2.230,00 € monatlich zuzüglich einer Leistungszulage von 18,91 %.

Die Beklagte ist ein Maschinenbauunternehmen. Sie stellt Spritzgussmaschinen für die Kunststoffverarbeitung her. Sie beschäftigt an ihrem Stammsitz in L. allein in der Produktion knapp 1.000 Mitarbeiter. Sie ist damit der größte Arbeitgeber am Ort mit ca. 7...

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