Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann zur Durchsetzung seines Anspruchs auf behinderungsgerechte Beschäftigung vom Arbeitgeber Umorganisationen des Arbeitsablaufs verlangen, sofern diese nicht unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden sind.

 

Normenkette

SGB IX § 81 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Heilbronn (Urteil vom 12.01.2005; Aktenzeichen 4 Ca 229/04)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.03.2006; Aktenzeichen 9 AZR 411/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom12.01.2005 – Az.: 4 Ca 229/04 – abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Flach schleifer zu beschäftigen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger als Flachschleifer zu beschäftigen.

Der am 15.08.1947 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 07.08.1978 bei einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.492,00 EUR als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Von Dezember 1979 bis Februar 2003 arbeitete der Kläger als Flachschleifer und war zuletzt in der kleinmechanischen Abteilung an der Flachschleifmaschine SF 4 eingesetzt. Dort musste er Werkstücke aus Stahlguss, die an seinen Arbeitsplatz auf Paletten angeliefert werden und die je nach Auftrag sehr geringe Gewichte bis zu Teilgewichten von 20 bis 30 kg haben, von Hand oder per Hebekran auf die Arbeitsfläche der Schleifmaschine heben und von dort per Hand ca. 30 cm hoch zum Magneten führen. Die Schleifscheibe, die je nach Schleifgut ein oder mehrmals am Tag ausgewechselt werden muss, wiegt ca. 9 kg.

Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Seit dem 28.10.2002 ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Der Kläger hat seit längerer Zeit Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und in den Ellbogengelenken bei Wirbelsäule und Ellbogen belastenden Tätigkeiten. Nach einem ärztlichen Attest vom 25.05.2000 soll der Kläger nicht mehr als 5 kg tragen. Nach den nicht widersprochenen Angaben der Beklagten war der Kläger im Jahr 2000 an 30 Arbeitstagen, im Jahr 2001 an 36 Arbeitstagen und im Jahr 2002 an 26 Arbeitstagen arbeitsunfähig. Vom 06.02.2003 bis zum 16.08.2004 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig und bezog zuletzt Krankengeld.

Die Beklagte, die derzeit im Werk H. ca. 1400 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt, ist Systempartner für die Automobil- und blechbearbeitende Industrie, insbesondere im Werkzeugbau. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metallindustrie Nord-Württemberg/Nord-Baden Anwendung. Gemäß § 4.4 des Manteltarifvertrages (Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte) kann der Kläger nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Nach den nicht widersprochenen Angaben der Beklagten erfüllt sie ihre Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen gemäß § 71 SGB IX.

Anfang Februar 2003 strukturierte die Beklagte die Arbeitsplätze an den Flachschleifmaschinen um. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in einer Schicht acht Arbeitnehmer an jeweils einer Flachschleifmaschine beschäftigt. Ab Februar 2003 müssen nur noch vier Mitarbeiter in einer Schicht jeweils zwei Flachmaschinen, eine größere und eine kleinere Maschine, gleichzeitig bedienen. Dem Flachschleifer der Flachschleifmaschine SF 4 wurde zusätzlich die größere Schleifmaschine SF 20 zugeordnet. An dieser Schleifmaschine, wie an den anderen drei großen Schleifmaschinen, müssen deutlich größere und bis zu 150 kg schwere Werkstücke gehoben und bewegt werden. Die Schleifscheibe wiegt zwischen 20 und 30 kg. An einer solchen großen Schleifmaschine war der Kläger noch nie eingesetzt. Im Zusammenhang mit diesen Umstrukturierungsmaßnahmen arbeitete der Kläger – während seiner Arbeitsunfähigkeit – auf dem Arbeitsplatz eines Gabelstaplerfahrers. Nach drei Tagen musste der Einsatz des Klägers aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden. Der Kläger legte in diesem Zusammenhang ein Attest vom 11.03.2003 vor (Bl. 7 der erstinstanzlichen Akte).

Am 08.10.2003 gab der Betriebsarzt der Beklagten eine Stellungnahme ab, dass der Kläger für den Arbeitsplatz eines Flachschleifers nicht mehr geeignet sei (Bl. 27 der erstinstanzlichen Akte). Nach einem Attest seines behandelnden Arztes vom 01.06.2004 (Bl. 38 der erstinstanzlichen Akte) bestand bei dem Kläger Arbeitsfähigkeit ab dem 01.06.2004 für mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Ausschluss von körperlichen Zwangshaltungen.

Am 23.09.2003 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Die Zustimmung wurde mit Bescheid vom 08.10.2003 verweigert. Diesen Bescheid hat die Beklagte nicht angefochten. Seither verfolgt die Beklagte keine Kü...

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